Alerte, Alerta – den guten Neuanfang nicht versieben
Die Partei Die Linke hat in den letzten Monaten einen beispiellosen Aufschwung erlebt. Dieser Aufschwung ist so groß, dass faktisch von einer Neubildung der Linken gesprochen werden kann. Fast 120.000 Mitglieder sind über örtliche, landes- und bundesweite Strukturen erfasst, zahlen Beitrag und wählen die parteiinternen Gremien. Die Partei ist nach dem durchschnittlichen Lebensalter der Mitglieder die jüngste der Parlamentsparteien in Deutschland (38,7 Jahre) und der Frauenanteil ist nach den Grünen am zweithöchsten (44,5%). Der Anteil der Mitgliedschaft mit Migrationshintergrund wird nicht erfasst. Ich schätze aber, dass die Linke auch hier einen Spitzenwert einnimmt.
Die Linke ist damit die stärkste Partei links von der Sozialdemokratie in Europa. Organisationen wie La France Insoumise in Frankreich, Podemos im spanischen Staat oder die in Gründung befindliche Your Party in Britannien haben zwar deutlich mehr Mitglieder (jeweils zwischen 500.000 bis 600.000), aber die Mitgliedschaftskriterien sind nicht mit denen der Linken zu vergleichen. Auch die Vorfeldorganisationen der Linken – Jugendverband Solid und Studierendenverband SDS – erleben deutliche Mitgliederzuwächse.
Die Linke hat mit 64 Abgeordneten eine Bundestagsfraktion, die fast so groß ist wie die nach den Wahlen von 2009, als die tiefe Finanzkrise des Kapitalismus und die Neugründung der Partei Die Linke zu einer historisch einmaligen Situation zusammenfielen. In allen Bundesländern wird Die Linke in aktuellen Umfragen zu Landtags- und Bürgerschaftswahlen über 5 Prozent eingeordnet. Das bedeutet, dass in den Landtagswahlen 2026 bis 2029 neue oder größere Landtagsfraktionen dazukommen. Bei den kommunalen Wahlen wird Die Linke in den nächsten Jahren tausende von lokalen und regionalen Abgeordneten in Wahlämtern erhalten.
All das bedeutet natürlich auch einen, teilweise erst in den nächsten Jahren voll wirksamen, enormen Aufschwung im Zufluss von staatlichen Geldern, Beitragseinkommen und zahllosen Beschäftigungsverhältnissen bei Partei, Fraktionen und den Bundes- und Landesstiftungen im Verbund der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Trotz des Mitgliederaufschwungs ändert sich nichts an der grundsätzlichen Struktur, dass Die Linke zu 80-90 Prozent von „Staatsknete“ abhängt – die alte Schwierigkeit, aus einer solchen Startposition den Staat, in dem und von dem man lebt, grundlegend verändern zu wollen, bleibt also bestehen. Und ebenso bestehen bleibt auch die von der Antikapitalistischen Linken (AKL) und von mir mehrfach analysierte „Dialektik der partiellen Errungenschaften“, nach der die neuen parlamentarischen Erfolge und der Ausbau eines Stammes von Berufspolitiker:innen immer auch strukturkonservative Kräfte hervorbringen, die ein mehr oder weniger ausgeprägtes Eigeninteresse entwickeln, eine weitere antikapitalistische Radikalisierung der Linken zu bremsen.
Die Linke ist der antikapitalistische Pol in der Gesellschaft
Mit diesem Aufschwung der Partei Die Linke ist in Deutschland erfreulicherweise neben einem massiven Aufstieg von rechten, nationalistischen und rassistischen Kräften, in deren Zentrum die Alternative für Deutschland (AfD) mit knapp 65.000 Mitgliedern steht, auch ein starker linker Pol in der politischen Gesamtsituation entstanden. Gegen Rechts hilft nur Links – diese so einfache wie richtige Erkenntnis setzt sich in der Praxis langsam um und muss weiterhin im Fokus einer politischen Strategie der Linken stehen.
Die Anfang 2024 vollzogene Abspaltung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) von der Partei Die Linke hat sich als die befürchtete Rechtsabspaltung erwiesen, die ihr Heil in einer grundsätzlichen Abspeckung des linken, antikapitalistischen Programms zugunsten pro-kapitalistischer Krisenverwaltung mit mehr Gewicht auf sozialen Ausgleich, in einer Anpassung, teilweise sogar Übernahme einer Führungsrolle, an die rassistische, nationalistische und inhumane Migrationspolitik der AfD und im Aufbau einer sektengleichen, hierarchischen undemokratischen Organisation mit ausgewählten Mitgliedern sucht. Sie ist obendrein schnurstracks in Brandenburg und Thüringen in Koalitionsregierungen mit CDU und SPD eingestiegen, was die mit viel Pathos vorgetragene moralische Kritik an den „Altparteien“ (hier wird der gleiche Jargon wie bei der AfD benutzt) ziemlich entwertete. Die richtige Haltung gegenüber Aufrüstung und Kriegsvorbereitung beim BSW ist dann leider auch nicht zu mehr als moralischen Appellen in der Lage, die kommen und wieder gehen, selbst wenn sie von einer Million Menschen unterzeichnet werden. Eine wirkliche antikapitalistische Antikriegspolitik sieht anders aus.
Das Versprechen, die AfD zurückzudrängen, hat das BSW mit Politik wie zu erwarten nicht eingelöst. Ihre zweite Zielsetzung, Die Linke als politische Alternativkraft abzulösen, hat das BSW ebenfalls verfehlt. Die Abspaltung war für die Partei Die Linke ein spürbarer Befreiungsschlag und hat zum Neuaufschwung der Linken beigetragen.
Den parlamentarischen Erfolg zum Aufbau einer gesellschaftlich real verankerten antikapitalistischen Partei ausnutzen.
Als die Partei Die Linke beziehungsweise ihre Vorläuferorganisation WASG gegründet wurden, bestand ihre Mitgliedschaft überwiegend aus Personen, die ihre politische Sozialisation und auch ihre strategischen Vorstellungen als Linke in zwei links-sozialdemokratischen Biotopen entwickelten. Die historisch gescheiterte Staatspartei SED, die ihren Staat verloren hatte, und deren Restbestände als PDS mit dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Klausel bei der Bundestagswahl 2002 in eine Überlebenskrise geraten waren, und auf der anderen Seite linke Sozialdemokrat:innen, die so etwas wie eine Todeskrise der SPD nach dem Fiasko der Hartz-IV und Agenda 2010 Politik durch die Regierung Schröder zu verarbeiten hatten.
Beide Strömungen trafen sich in einer politischen Strategie, die stark etatistisch, auf Wahlkämpfe und parlamentarische Transformationsstrategien ausgerichtet war. Es gab daneben noch eine kleinere Gruppe von Alt-68ern und enttäuschten Mitgliedern und Wähler:innen der Grünen und eine größere Gruppe von direkt von der Politik der SPD-Grünen-Regierung betroffenen Erwerbslosen und Randgruppen der Arbeiter:innenklasse. Die letztere wurde durch die Proteste gegen die Agenda-2010 seit 2003 mobilisiert. Ihr Schlachtruf war „Weg mit Hartz IV“. Leider ist diese Gruppe im Zuge der Vereinigungsverhandlungen von PDS und WASG zur Partei Die Linke fast komplett wieder verloren gegangen. Das war der erste strategische Fehler der neuen linken Partei.
Nach ihrer offiziellen Gründung 2007 hat die Partei Die Linke einerseits von ihrer Substanz an Mitgliedern und Organisationskraft gelebt, die sie zum Zeitpunkt der Gründung hatte, andererseits hat die gesamtgesellschaftliche, auch internationale Entwicklung immer wieder Themen und Herausforderungen hervorgebracht, die bei der behäbigen, reformistischen Mehrheit der Partei regelmäßig zu neuen, kleineren Radikalisierungen führte.
Die vielfach beschriebene Multikrise des Kapitalismus verlangte von der Partei klare Positionen zur Jahrtausendfrage der wachsenden Klima- und Umweltzerstörung; zur immer häufiger in neuen Kriegen hervortretenden grundsätzlichen Kriegsdynamik, die in der kapitalistischen Produktionsweise schlummert; zum weltweiten Großthema Migration und der Flucht immer größer werdender Menschengruppen vor Krieg, Ausbeutung und Umweltzerstörung; zum beschleunigten Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften und Konter-Reformen in Fortsetzung der Agenda 2010 sowie zu der ebenfalls zunehmenden Tendenz in vielen Staaten Europas und der Welt zu autoritärer und militarisierter Staatspolitik.
Spätestens mit der Bundestagswahl 2021 und der Europawahl 2024 waren die lebendigen Kräfte in der Partei versiegt
Diese „kleinen Radikalisierungen“ waren aus Sicht der linken Kräfte in der Partei, allen voran uns von der Antikapitalistischen Linken, nie ausreichend, aber sie reichten hin, um den Anpassungsprozess der Gesamtpartei, die parlamentarische Versumpfung und den mäßigenden Einfluss von berufspolitischen Funktionär:innen für fast fünfzehn Jahre zu bremsen. Aber spätestens mit der Bundestagswahl 2021 und der Europawahl 2024 waren die lebendigen Kräfte in der Partei ziemlich versiegt und sie geriet immer mehr zu einer langweiligen, langsamen und angepassten Parlamentspartei, ohne Charisma und unter Verlust jeglicher Ausstrahlung insbesondere auf junge Leute.
Wir von der AKL haben dies stets kritisch begleitet und der Partei Die Linke eine dreifache Krise diagnostiziert: Eine programmatische, eine strategische und eine strukturelle Krise. Programmatisch – weil die Antworten auf die Kriegsgefahr, die Klimakrise, die Krise der Europäischen Union, die Migrationsfrage nicht ausreichend weiterentwickelt wurden; strategisch – weil der Führung der Partei mehrheitlich nichts anderes eingefallen ist, als sich unermüdlich auf die immer irrealer und absurder erscheinende Perspektive einer gemeinsamen Regierung mit SPD und Grünen zu orientieren; strukturell – weil nichts gegen die wachsende Passivisierung der Mitgliedschaft und das Übergewicht der parlamentarischen Berufspolitiker:innen unternommen wurde.
Im Mittelpunkt einer alternativen und nachhaltigeren Entwicklung der Partei Die Linke hätte die systematische Verankerung als gesellschaftliche Oppositionskraft im täglichen Leben stehen müssen. Vor allem gegenüber der Kriegs- und Militarismusgefahr, aber ebenso in der Klimafrage und der Migrationspolitik hätte eine solche Oppositionsrolle der Partei Die Linke viel klarer und radikaler ausgearbeitet und buchstäblich auf die Straße gebracht werden müssen. Der Aufbau bleibender Strukturen, im Stadtteil, in den Betrieben, sozialen Einrichtungen und sozialen Bewegungen und Gewerkschaften hätte vorangetrieben werden sollen – statt nur auf Wahlkämpfe zu vertrauen. Und nicht zuletzt hätten die seit langer Zeit diskutierten Maßnahmen zur Begrenzung des Einflusses der parlamentarischen Arbeit auf die Gesamtpartei umgesetzt werden müssen. Aber all das geschah nicht oder viel zu wenig.
Ein neuer Anlauf 2025 und eine zweite Chance
Der starke Mitgliederzustrom und der relative Wahlerfolg bei der Bundestagswahl eröffnen der Partei Die Linke eine zweite Chance. Der große Teil der hinzu gekommenen Mitgliedschaft hat eine politische Sozialisation in den Jahren erlebt, als es die Partei Die Linke schon gab. Sie sind der Partei weniger aus „taktischen Gründen“ beigetreten, um eine gescheiterte Orientierung aus ihrer eigenen Vergangenheit irgendwie zu einem besseren Ende zu bringen, sondern weil sie die Partei Die Linke zu ihrer ersten politischen Heimat erkoren haben. Sie begründen ihre Politik im erfreulichen Maße als „Politik in der ersten Person“ – es geht um ihre Interessen und ihre individuellen Möglichkeiten der Politikgestaltung. Sie sind ebenso erfreulich bewegungsorientiert und noch nicht von etatistischen Sackgassen, parlamentarischen Illusionen und leeren Hoffnungen auf irgendwelche Allianzen mit SPD und Grünen desorientiert worden.
Und siehe da: Die vielen jungen Neumitglieder, meistens mit Abitur oder Hochschulabschluss, mit Gymnasium oder Universität als aktueller Heimat, in prekären Beschäftigungsverhältnissen und bei der individuellen Lebensgestaltung an allen Ecken durch die Gesellschaft behindert, haben keine Sonderinteressen gegenüber der großen Mehrheit der Bevölkerung, höchstens eine besondere Ungeduld. Hohe Mieten, Inflation, Angst vor Krieg und Umweltzerstörung, leere Partizipationsversprechen und Entdemokratisierung, Zunahme von Stress und Belastungen, Angst vor der Zukunft und die Empörung gegenüber dem Rechtsruck – all das prägt diese Generation. Die Partei Die Linke als Partei des modernen Proletariats des 21. Jahrhunderts – das wurde in den ersten Monaten von 2025 zunehmend Wirklichkeit.
Auf ihrem Parteitag in Chemnitz hat die Partei Die Linke einen Leitantrag angenommen, der grundsätzlich auch in den Augen der AKL in die richtige Richtung weist. Es muss gelingen, eine in der Gesellschaft verankerte, aktivistische Mitgliederpartei aufzubauen. Es gibt in der modernen kapitalistischen Gesellschaft nach wie vor eine tiefe Klassenspaltung und sich antagonistisch gegenüberstehende Interessen. Die Partei Die Linke muss in dieser Hinsicht programmatisch und organisatorisch die Partei der Arbeiter:innenklasse werden, das heißt der großen Mehrheit der Menschen in dieser Gesellschaft. Im Mittelpunkt der Politik steht die grundsätzliche Überwindung des Kapitalismus, der strukturell mit ökonomischer Ausbeutung, Zerstörung der ökologischen und klimatischen Grundlagen, mit wachsender Entdemokratisierung und Aufbau autoritärer Staaten, mit menschenverachtender Migrationspolitik und vor allem mit der täglich wachsenden Kriegsgefahr einhergeht.
Der Chemnitzer Leitantrag hat eine organisatorische Schwerpunktverschiebung vorgeschlagen, der unbedingt gefolgt werden muss
Es stehen bereits in der Tagespolitik und den regelmäßigen parlamentarischen Initiativen der Partei Die Linke, ob gewollt oder nicht gewollt, die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln im Zentrum. Alle Versuche, diesen elementaren Zusammenhängen in der Politik auszuweichen, müssen scheitern. Der Leitantrag hat eine organisatorische Schwerpunktverschiebung vorgeschlagen, der unbedingt gefolgt werden muss: Der Aufbau von nachhaltigen Parteistrukturen in der realen Gesellschaft: In Stadtteilen, in Betrieben, in sozialen Strukturen und Bewegungen. Überall sollte sich die Partei Die Linke aufstellen und kollektive Mitmach- und Solidaritätsstrukturen aufbauen.
Um eine Wiederholung der Entwicklung der Partei wie 2007 bis 2020 zu verhindern, muss die wachsende Verankerung der Partei in den parlamentarischen und sonstigen Mitmachstrukturen, die die bürgerliche Gesellschaft auch Oppositionskräften anbietet, bewusst gesteuert werden. Die Integrationskräfte dieser Gesellschaft, durch Angebote, Scheinpartizipation und ins Leere laufende Aktivitäten, linke Kräfte zu domestizieren, dürfen nicht unterschätzt werden. Nur eine lebendige, dauerhafte Opposition schafft den Nährboden, auch Kompromisse einzugehen und mit Teilerfolgen zu leben.
Deshalb ist es gut, dass der Leitantrag – wenn auch nicht ausreichend – vorschlägt, die parlamentarische Arbeit zu reglementieren: Befristung der Mandatszeiten für die Linke-Mitglieder auf maximal drei Legislaturperioden. Ginge es nach der AKL wären schon zwei Amtsperioden ausreichend. Auch die Trennung von parlamentarischen Ämtern und Parteiämtern muss stärker beachtet und durchgeführt werden. Die „normalen“ Basis-Mitglieder der Partei müssen in den Entscheidungsstrukturen eine Mehrheit haben gegenüber Funktionär:innen, hauptberuflich Beschäftigten bei Fraktion und Partei und den Abgeordneten selbst.
Wir sehen mit Sorge, dass sich die Fraktion viel zu wenig mit den Erfahrungen der alten Linksfraktion auseinandersetzt
Die Linke hat leider schon viele der guten Erkenntnisse aus ihrem Leitantrag vergessen oder in den Hintergrund verschoben. Es war ein Fehler, dass die beiden Parteivorsitzenden auch in die Fraktion im Bundestag gewechselt sind. Wir sehen mit Sorge, dass sich die Fraktion viel zu wenig mit den Erfahrungen der alten Linksfraktion auseinandersetzt. Statt sich den politischen Notwendigkeiten zu stellen, die sich aus der realen Gesellschaft ergeben – allen voran der wachsenden und alle anderen Themen überlagernden Kriegsgefahr – und dafür nützliche kollektive Strukturen zu schaffen, wird sich wieder den Vorgaben der parlamentarischen Alltagsgeschäfte und ihrer Ordnungen gefügt und sich zu unkritisch der Tendenz untergeordnet, den Aufbau von 64 einzelnen und miteinander konkurrierenden Ich-AGs bei den einzelnen Abgeordneten zu betreiben. In den aktuellen Vorbereitungen der Wahlen in den Kommunen und den Bundesländern spielen die Fragen der Begrenzung von Mandatszeiten und der Ämtertrennung schon wieder nur eine untergeordnete Rolle.
Aufgrund einer Nachfrage der AKL wurde das parlamentarische Gewicht im Parteivorstand nach den Wahlen von 2025 ermittelt. Danach sind von den 26 Mitgliedern des Parteivorstandes mittlerweile 9 Abgeordnete im Bundestag oder in Landtagen. 3 weitere sind hauptamtliche Mitarbeiter der Partei und weitere 3 sind Mitarbeiter:innen bei Abgeordneten oder Fraktionen. 15 von 26 PV-Mitgliedern stehen also in einem "Abhängigkeitsverhältnis" zur Partei oder Fraktion. Schauen wir uns nur den Geschäftsführenden Parteivorstand an, dann ist die Realität noch klarer: Von 10 Mitgliedern des gfPV sind 6 Abgeordnete und 3 bei der Partei Beschäftigte. Nur 1 Mitglied des gfPV ist von Partei und Fraktionen unabhängig.
Diese Parteiführung hat deshalb schon wieder selbst erzeugte und verstärkte Probleme bei der Umsetzung der mit klarer Mehrheit gefassten Parteitagsbeschlüsse. Nicht nur bei den Vorhaben zum Aufbau einer Klassenpartei, sondern vor allem bei den aktuellen Mobilisierungen gegen die kapitalistischen Kriege und Kriegsvorbereitungen.
Die Verhandlungsführung der Partei Die Linke bei den Vorbereitungen der Antikriegsdemonstrationen im Herbst 2025 war nicht von klarer politischer Zielsetzung geprägt, wie sie eigentlich aus dem Parteitagsbeschluss von Chemnitz folgen müsste. Seit Juni wurde verhandelt und Gegenstand war offensichtlich vor allem, wer alles wegen wem und wegen was nicht zusammengehen kann. Bei einer solchen Linie ist Misserfolg vorprogrammiert. Strittig waren Begriffe (Völkermord, Genozid, Angriffskrieg u.a.) und Bündnispartner. Das ist das Gegenteil von einer politisch selbstbewussten linken Partei, die mit klaren Ideen und Vorgaben andere überzeugt, notfalls auch mit eigenem Aufruf für Aktionen arbeitet. Ein Glücksfall, dass die Demonstration und Kundgebung am 27. September 2025 dennoch ein großer Erfolg wurden.
Daraus folgt, dass die Partei Die Linke dringlich auch über Prinzipien der politischen Bündnispolitik diskutieren muss. Das alte und bewährte Motto "Vereint schlagen, getrennt marschieren“, pmit dem politische Aktionseinheiten früher etabliert wurden, muss offenkundig neu belebt und aktualisiert werden. Die Partei Die Linke benötigt ein stärkeres politisches Selbstbewusstsein als Voraussetzung dafür, andere Strömungen und Gruppierungen zu respektieren.
Der politische Kampf dreht sich um Inhalte und Die Linke muss dabei den entschiedensten Part übernehmen
Der Parteivorstand ist in Zusammenarbeit mit den Fraktionen auch zu sehr bereit, „Nebenleitungen“ zu etablieren, die ihn als autoritatives Leitungsorgan beschädigen. Die von der Satzung vorgesehene „Internationale Kommission“ wurde deutlich mehr als satzungsmäßig nötig aufgebläht. Für die vom Parteitag beschlossene Debatte zur Aktualisierung unseres Grundsatzprogramms wurde eine „Programmkommission“ berufen, die – sofern sie wie angelegt ins Arbeiten kommt, was nicht sicher ist – die politische Leitung der Programmdebatte aus dem Parteivorstand auslagert. Mit dem bereits früher berufenen „Gewerkschaftsrat“ – der zum Glück nicht planmäßig arbeitet – ist dies auch für das große Thema Gewerkschaftsarbeit passiert.
Auch große inhaltliche Fehlentscheidungen bleiben dann nicht aus. Das Verhalten der Landesregierungen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, in denen die Partei Die Linke beteiligt ist, bei den Abstimmungen im Bundesrat zur Sonderfinanzierung der Rüstung und beim sogenannten „Investitionsbooster“-Gesetz waren schwere Fehler, die sogar gegen den lautstarken und rechtzeitig erhobenen Protest der Gesamtpartei erfolgten. Konsequenzen aus diesem Fehlverhalten wurden beschlossen, aber bisher nicht umgesetzt.
Und – kaum zu glauben, aber wahr – es werden innerhalb der Partei Die Linke schon wieder Diskussionen losgetreten, es solle sich doch für 2029 wieder auf eine Regierungsoption mit SPD und Grünen und auf einen entsprechenden Lagerwahlkampf eingestellt werden. Solche fehlgeleiteten und irrealpolitischen Auftritte Einzelner können nicht verboten und verhindert werden, aber die offiziellen Führungsgremien der Partei sollten ausdrücklich alternative, realistischere Perspektiven diskutieren und beschließen.
Dabei wird eine Frage immer drängender: Wie verhält sich die Partei Die Linke als Oppositionskraft gegenüber der stärker werdenden AfD. Die Einlösung der Forderung, dass die Partei Die Linke Teil einer „Allparteienkoalition“ gegen die AfD sein sollte, wird die Partei umbringen. Die AfD ist ja gerade durch die Politik der anderen Parteien erst stark geworden, während die Partei Die Linke durch ihre klare Opposition dazu neue Akzeptanz und Unterstützung gewonnen hat. Die Partei Die Linke sollte in keinem Fall Allianzen mit der AfD in der Opposition bilden. Das heißt aber nicht, die Einstellung eigenständiger Aktivitäten und Vorhaben, nur weil eventuell auch die AfD dem zustimmen könnte. Es darf aber auch keine Allianzen und Händel mit der Regierung geben, um die AfD zu verhindern. Der politische Kampf geht um Inhalte und die Partei Die Linke muss dabei den entschiedensten Part übernehmen.
Denn eines ist und bleibt klar: Die Partei Die Linke wird ihren aktuellen Aufschwung und die neue Leidenschaft bei tausenden von Mitgliedern nur beibehalten und sogar verstärken können, wenn sie weiterhin konsequent oppositionelle antikapitalistische und antimilitaristische Opposition bleibt und für den Sozialismus als grundsätzliche Alternative streitet. Grüne und SPD sind dabei höchstens mal bei kleinen, beschränkten und örtlichen Aktionen Bündnispartnerinnen, in der Regel sind sie in allen Fragen der Tagespolitik unsere Gegnerinnen. Politik in der ersten Person, Interessenvertretung der 99 Prozent in der Gesellschaft und Einmischen in die konkreten Kämpfe gegen kapitalistische Ausbeutung, Krieg, Umweltzerstörung und rassistische Migrationspolitik ist nicht vereinbar mit der Stellvertreterpolitik, die uns die bürgerliche parlamentarische Demokratie als einzige Form der politischen Partizipation zugestehen will.