Vom kleinen Grüppchen zum ersten linken Bürgerentscheid in Bayern

Im Sommer 2023 bekam ich einen Anruf von unserem Erlanger Stadtrat Johannes Pöhlmann. Er erzählte mir, dass die Chefetage der Universitätsklinik ein leerstehendes Schwesternwohnheim renovieren möchte. Allerdings nicht etwa, damit dort wieder Pflegepersonal einziehen kann, sondern um das Gebäude in Bürofläche umzunutzen. Damit würden etwa 150 bezahlbare Wohnungen direkt am Arbeitsplatz wegfallen.

Durch den Kontakt mit anderen war schnell klar: Die Klinikleitung will alle Personalwohnungen in der Erlanger Innenstadt abschaffen und dort stattdessen andere Klinikeinrichtungen bauen. Damit wollten wir uns nicht abfinden und legten unsere Kräfte zusammen: Wir Linke, die Mietervereinigungen, Vertreter aus der Klinikbelegschaft und ver.di sowie des Stadtteilbeirats Innenstadt starteten ein Bürgerbegehren zum Erhalt der Wohnungen im Klinikviertel. Die Erlanger Lokalzeitung schrieb damals: „Ein Grüppchen“.

Die Stadt Erlangen hat gut 110.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Wir brauchten knapp 5.000 Unterschriften von Wahlberechtigten. Mehrere andere Parteien und Verbände riefen nach dem Start der Unterschriftensammlung zur Unterstützung auf. Die gedankliche Verbindung zwischen dem Bürgerbegehren und der Linke war da aber bereits durch unser Engagement gesetzt. Schnell machten wir die Erfahrung, dass die formale Unterstützung von großen Organisationen nur wenig Unterschriften bringt. Zum Start der Kampagne kamen in Folge der Medienberichterstattung einige hundert Erlangerinnen und Erlanger proaktiv auf uns zu, um zu Unterschreiben.

Den größten Schritt nach vorne haben wir aber mit dutzenden Sammelstellen in Cafés, Läden, Restaurants und Kulturzentren gemacht. Hier sind wir breit vorgegangen und haben schlicht alle gefragt, unabhängig von geschätzter politischer Nähe. Durch die Wahlkampf-Infostände im Zuge der bayrischen Landtagswahlen, bei denen viele unserer Aktiven während ihrer Standzeiten fleißig sammelten, hatten wir schnell zusätzlich über 1000 Unterschriften zusammen.

Später wurden uns beim Unterschriftensammeln mehrere Steine in den Weg gelegt. Zuallererst erteilte die Stadtverwaltung wenige Wochen nach dem Start unseres Bürgerbegehrens die Baugenehmigung für die Umnutzung des Schwesternwohnheims, nachdem der Bauantrag dort davor lange unbearbeitet herum lag. Ein Schelm, wer Böses denkt. Wir beauftragten einen uns politisch nicht nahestehenden Juristen damit, die Genehmigung zu prüfen. Er kam zu dem Schluss, dass diese wahrscheinlich rechtswidrig sei, wir aber keine Klagemöglichkeit hatten. Lehrreich, wie eine Stadtspitze ihren Willen durchdrücken kann, wenn sie denn möchte.

Um uns gegen diese Möglichkeit abzusichern, hatten wir das Bürgerbegehren von Anfang an so formuliert, dass es auch die 164 weiteren, direkt danebengelegenen Personalwohnungen schützen würde. Das Sammeln ging also weiter. Jetzt kamen die Unterschriften hauptsächlich vom händischen Sammeln in der Fußgängerzone oder an Supermärkten. Ein sehr personalintensives Vorgehen. Es zeigte sich auch, wie schwer es für die Partei ist, sich für längere Zeit auf ein Thema zu fokussieren, besonders in einer Zeit der Krise und niedriger Aktivenzahlen, wie es die Jahre 2023 bis 2024 waren. Es fehlte teils auch das Bewusstsein, welche Bedeutung ein erfolgreiches Bürgerbegehren von links für den langfristigen Machtaufbau haben würde. Trotzdem bekamen wir die Unterschriften nach dem Bundestagswahlkampf 2025 zusammen und reichten sie nach erfolglosen Verhandlungen mit der Stadt im März 2025 ein – man könnte fast den Eindruck haben, sie waren nur zum Zeit schinden da.

Jetzt galt es, außerhalb des normalen Wahlzyklus binnen drei Monaten eine Wahlkampagne auf die Beine zu stellen: „Sag Ja zu Wohnraum“. Wahlkampfplan, Kommunikationsstrategie, Geld sammeln – alles musste organisiert werden. Wir rückten unsere Inhalte in den Vordergrund und sprachen fast gar nicht über die Gegenseite.

In Bayern hatten wir seit 2023 jedes Jahr eine Wahl. Es half uns sehr, dass die Partei bereits auf Kampagnen eingestellt war. Auch hier zeigte sich wie beim Unterschriften sammeln wieder: Neben einzelnen sehr zuverlässigen Partnern (namentlich genannt sei der Mieterbund Nürnberg und Umgebung) konnten wir uns bei der Handarbeit vor allem auf uns selbst verlassen.

Wir organisierten zwei Aktionswochenenden für Haustürgespräche und luden dazu die bayerische Linke ein. Es zeigte sich, dass wir bayernweit eine Kultur, sich bei zugespitzten und politisch bedeutenden Kampagnen gegenseitig zu unterstützen, noch (weiter) erarbeiten müssen. Dennoch beteiligten sich an den Wochenenden jeweils etwa 60 Genossinnen und Genossen – vorrangig aus Erlangen, aber auch aus Franken und Bayern –, sodass wir insgesamt an über 7.000 Wohnungstüren klopfen konnten. Erlangen hat etwa 60.000 Haushalte, wir waren also bei etwa 12 Prozent davon an der Tür. Dazu kam das übliche Repertoire der Wahlkämpfe: Gut 2.000 Plakate, 10.000 Flyer, Infostände etc.

Zehn Tage vor dem Bürgerentscheid wachten die anderen politischen Parteien auf und starteten auf Social Media eine Gegenkampagne. Eine Woche vor dem Entscheid schloss sich die Chefetage der Klinik dem an. Einen Bürgerentscheid gewinnt man in Bayern mit über 50 Prozent der Stimmen, welche mindestens 10 Prozent der Wahlberechtigten abbilden müssen. Offensichtlich wurde zunächst darauf gesetzt, dass Thema tot zu schweigen und dadurch das nötige 10-Prozent-Quorum zu verhindern. Vielsagend für das Demokratieverständnis von CSU und SPD. Als sich durch unsere Kampagne und die hohe Zahl beantragter Briefwahlunterlagen zeigte, dass das nicht klappen würde, kam der plötzliche Kurswechsel. Insbesondere die Klinikleitung drehte – mit Steuergeldern finanziert – an ihren Standorten und auf Social Media massiv auf. Ihre tausenden Mitarbeitenden wurden derart mit Nein-Propaganda geflutet, dass uns viele Reaktionen erreichten, wie sehr das die Mitarbeitenden nerve. Der Ton der Gegenkampagne war voll auf Vergiftung ausgelegt: Persönliche Angriffe, Delegitimierung, Klinikuntergangsprophezeiungen.

Am Ende gewann unsere positive Botschaft „Wohnraum erhalten“! 51,7 Prozent der Erlangerinnen und Erlangen stimmten mit Ja, das Quorum wurde klar erreicht. In der Auswertung konnten wir sehen: In allen Stadtvierteln, in denen wir an allen Wohnungstüren waren, haben wir gewonnen. Die Reaktionen der Gegenseite sind seitdem ziemlich verschnupft. Klar, wer verliert auch gerne. Trotzdem ist die Verwaltung an das Ergebnis gebunden. Der Erlanger Oberbürgermeister Florian Janik (SPD, Teil der Gegen-Kampagne) dazu: „Das Votum der Bürgerinnen und Bürger ist natürlich zu respektieren.“

Der gewonnene Bürgerentscheid ist ein klarer Machtgewinn. Nicht nur für Die Linke in Erlangen, sondern bayernweit. Auf absehbare Zeit werden wir in Bayern kommunal keine Ratsmehrheiten bei Wahlen erhalten. Daher ist es umso wichtiger, dass wir bewiesen haben, bei wichtigen politischen Streitpunkten den Weg über die direkte Demokratie auch in Bayern gehen zu können. In Zukunft sollten und werden unsere politischen Gegner das im Hinterkopf behalten.