Interview

"Das macht wütend"

Demo vor dem Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück

Camila Cirlini, mehr als 1400 Menschen infizierten sich in einem Schlachtbetrieb des Tönnies-Konzerns mit Covid 19. Mittlerweile wird in Rheda-Wiedenbrück wieder geschlachtet. Wie stehen die Menschen vor Ort zu Tönnies?

Wenn man hier im Kreis Gütersloh wohnt, so wie ich, hat man schon mal das Gefühl, dass sich die Menschen zum Teil aufgegeben haben. Sie wehren sich nicht wirklich gegen den vermeintlich unbesiegbaren Goliath. Viel zu oft hört man, dass es sowieso sinnlos sei, gegen Tönnies zu protestieren, er würde doch immer alles durchbekommen. Viele haben resigniert. Mir kommt es manchmal auch vor wie eine stille Akzeptanz. Es fehlt die nötige Konsequenz. Wenn man das System Tönnies ablehnt, sollte man meiner Meinung auch dessen Produkte boykottieren. Mehr als 95 Prozent der Fleischwaren stammen aus Tierfabriken. Leider kauft der Metzger von nebenan meist auch bei Tönnies und Co. ein. Am 22. Juli veröffentlichte das Deutsche Tierschutzbüro Film- und Videomaterial aus dem Mastbetrieb des Tönnies-Zulieferers Diedam-Aussel GbR aus Rheda-Wiedenbrück. Es waren schockierende Bilder von kranken, vernachlässigten und gequälten Schweinen; schwere Verletzungen, aufgequollene, herausstehende Augen und abgebissene Ohren und Schwänze. Ich habe Anzeige erstattet.

Gab es Proteste gegen Tönnies auch vor Ort? Schließlich wurden alle Bewohner*innen des Landkreises in Kollektivhaftung genommen?

Ja, es gab sogar einige Proteste. Tierschutzgruppen haben wie immer den größten Anteil der Protestierenden ausgemacht. Aber es haben auch Eltern und Kinder protestiert. Im späteren Verlauf kamen Extinction Rebellion, Attac, Fridaysforfuture und noch weitere Gruppen hinzu. Während alle Bürger*innen Abstandsregeln einhalten mussten, gab es für Tönnies offensichtlich Ausnahmeregelungen. Dicht beieinandersitzend wurden die Arbeiter*innen wie immer in Kleinbussen herangefahren, beengte Wohnverhältnisse und Arbeitsplätze mit Zentimeter-Abständen, während Kinder auf der anderen Seite nicht mehr zur Schule gehen durften. Die Familien haben das Nachsehen gehabt und das macht wütend. Kinos mussten wieder schließen, viele Firmen und Einzelhändler wurden in die Knie gezwungen. Zahllose kleine Geschäfte mussten Konkurs anmelden.

Gibt es Versuche, Tönnies dafür haftbar zu machen?

Es sind 50 Anzeigen gegen Tönnies bei der Staatsanwaltschaft eingegangen; eine davon ist von mir. Wütend sind die Bürgerinnen auch darüber, dass Tönnies Lohnzahlungen vom Land NRW zurückfordert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Tönnies-Geschäftsführung. Es geht unter anderem um fahrlässige Körperverletzung und Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz.

Wie sieht man Tönnies im Landkreis? Als wichtigen Arbeitgeber und Steuerzahler oder doch eher als Ausbeuter von Menschen und Tier?

Sagen wir mal, seit dem Massenausbruch haben sich die Fronten noch mehr verhärtet. Der Druck wurde sicherlich größer durch den Massenausbruch. Auch setzten ihn die Fanclubs des Fußballvereins Schalke 04 unter Druck, sodass er bereits als Aufsichtsrat-Vorsitzender des Clubs zurückgetreten ist. Nun heißt es, Tönnies wolle in Zukunft keine Werkverträge mehr abschließen. Man wolle mit über 15 Tochterfirmen mit zunächst 1.000 Arbeiter*innen direkte Verträge abschließen; ein bekanntes System nur unter neuem Namen. Ja, allgemein wird Tönnies als Ausbeuter angesehen.

Die unhaltbaren Zustände bei Tönnies sind seit Jahren bekannt. Hat DIE LINKE vor Ort sich schon früher eingemischt? Gab es Proteste gegen den Fleischproduzenten?

DIE LINKE Gütersloh legt seit vielen Jahren immer wieder den Finger in die Wunde: Angefangen bei den katastrophalen Unterbringungen der Arbeiter*innen, dem offensichtlichen Lohnraub, der Tierquälerei durch die beengte Haltung in überfüllten Ställen, den Transport und die CO²-Tötung der Tiere, den Wasserverbrauch von ca. 4 Millionen Kubikmetern täglich, der Umweltverschmutzung und Abwasserproblematik - um nur einige der Themen zu nennen. Tönnies exportiert mehr als 50 Prozent in 80 Länder dieser Welt mit einem unvorstellbar negativen ökologischen Fußabdruck. Ich habe bereits 2017 zusammen mit meinen Genoss*innen vor Ort das Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung gegründet, welches nun in ganz Deutschland bekannt ist.          

Was kann man vor Ort tun gegen den Milliardär Tönnies, der ja in der Politik in NRW bestens vernetzt ist?

Camila Cirlini vom Kreisverband Gütersloh

Wir haben während der Corona Krise gesehen, dass die Regierung schon in der Lage ist, schnell zu handeln – sofern der Wille dazu da ist. Es wäre wünschenswert, dass genau dieser Enthusiasmus zum Beispiel bei dem Verbot der betäubungslosen Kastration von Nutztieren, bei dem Verbot von Werkverträgen oder im Kampf gegen die Klimakatastrophe angewendet würde. Wenn man allerdings - so wie die CDU in Rheda-Wiedenbrück - seit 2005 Spendengelder von Tönnies in Höhe von ca. 150.000 € kassiert, ist man sicher auch nicht Willens, etwas an den Zuständen zu ändern. Viele der Betroffenen waren Niedriglöhner aus Osteuropa.

Gab es Solidarität seitens der Bevölkerung, also etwa Lebensmittelspenden? Schließlich standen die Menschen ja unter Quarantäne und durften ihre Wohnungen nicht verlassen?

Ja, es gab sehr viel Solidarität der Bürger*innen, die Ihre Hilfe auf vielfältige Art und Weise angeboten haben. Auch gab es Essens- und Kleiderspenden.


Camila Cirlini ist stellvertretende Kreissprecherin DIE LINKE. KV Gütersloh und Spitzenkandidatin für den Stadtrat Gütersloh