UKRAINEKRIEG

Ein Manifest für den Frieden?

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Es ist nicht zu bestreiten, dass das so genannte „Manifest für den Frieden“ sehr populär ist. Das soziale, kulturelle und politische Engagement vieler Unterzeichner*innen steht außer Frage. Es scheint einen in der deutschen Bevölkerung mittlerweile tief verankerten Antimilitarismus ausdrücken. Dies kann aber nicht über die problematischen Inhalte des Manifests in Bezug auf den Krieg in der Ukraine hinwegtäuschen. Auf dem Parteitag der hessischen LINKEN am 4. März in Wetzlar wurden vier Dringlichkeitsanträge vorgelegt, die sich mit dem „Manifest für den Frieden“ der Initiatorinnen Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sowie der Demonstration eine Woche zuvor in Berlin befassten. Zwei der Anträge unterstützen das Manifest. Ein Antrag auf Initiative der Landesvorsitzenden vermeidet dies, um nach dem erfolgreichen Abschluss der Arbeit am Landeswahlprogramm eine Spaltung der Delegierten in pro und contra Manifest zu vermeiden. Eine Beschlussfassung über die Anträge lehnte der Parteitag mit großer Mehrheit ab. Damit ist die Diskussion weiterhin offen, eine eindeutige Positionierung der hessischen LINKEN ist nicht erfolgt. In einem weiteren Antrag sowie in der Debatte über die Anträge wurde vor allem die offene Flanke des Manifests und der Berliner Demonstration nach rechts kritisiert. Die Gegenseite argumentierte, dass man die Teilnahme rechter Kräfte an Friedensdemonstrationen nicht verhindern könne. Dies gipfelte im (sinngemäßen) Ausspruch eines Delegierten, er stehe lieber neben einem Nazi bei einer Friedenskundgebung, als dass er neben einem Nazi im Schützengraben liege.

Im Manifest werden Krieg, Eskalation und Waffenlieferungen auf der einen und Verhandlungen auf der anderen Seite als frei wählbare Alternativen entgegengesetzt. Schon dies ist politisch manipulativ, denn eine solche Alternative besteht in der Realität nicht. Mit der im Passiv stehenden Aussage „Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert …“ bleibt offen, wer die Verantwortung für diese Verbrechen trägt. Solidarität soll zwar der „von Russland brutal überfallenen ukrainischen Bevölkerung“ gelten, nicht aber der Ukraine als souveränem Staat, der mit diesem Angriff ausgelöscht werden soll. Dementsprechend erscheint Selenskyj nicht als der gewählte und rechtmäßige Präsident der Ukraine, sondern nach Lesart des Manifests als gewissenloser Warlord, dem es nur um Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe gehe, um „Russland auf ganzer Linie“ zu besiegen.

Nahe am Putinschen Narrativ

Mit diesen Aussagen kommen die Initiator*innen bedenklich nahe an das Putinsche Narrativ, der Westen wolle Russland in seiner Gesamtheit zerstören –, was nichts anderes als eine Umkehr dessen bedeutet, was geschehen ist, weiter geschieht und von russischer Seite nicht mal geleugnet wird: Russland hat die Ukraine überfallen, um Kiew zu erobern, um die legale Regierung zu stürzen und um dem Land das Putinsche System des Autoritarismus aufzuoktroyieren. Die Vertreibung der ukrainischen Bevölkerung ist mit 18 Mio. Geflüchteten schon im Gange. Nach den Vereinten Nationen handelt es sich um die größte Fluchtbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Vertrieben wird die Bevölkerung ukrainischer Städte vor allem durch Angriffe auf Wohngebiete und mit groß angelegten Zerstörungen der Infrastruktur durch das russische Militär. Großrussische Indoktrination, Verschleppung und Umsiedlung, Infiltrations- und Umerziehungslager, das gibt es alles schon in den von Russland besetzten und annektierten Gebieten. Wer die nationale Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine beansprucht, sei „Nationalist“, nach Putinscher Lesart „Nazi“. Ähnliche Worte hält Sahra Wagenknecht bereit, wenn sie den Verteidigungswilligen "Nationalismus“ unterstellt, und solche, die die blaugelbe Fahne hochhalten, für „kriegsbesoffen“ erklärt. (So in ihrem Vorwort zur Taschenbuchausgabe von Die Selbstgerechten)

Kompromisse?

Nach dem Manifest heiße verhandeln, nicht kapitulieren, nur Kompromisse machen. Was soll man darunter verstehen? Putin hält bisher klar an seinen „Zielen“ fest. Das Manifest verlangt weder den Abzug der russischen Truppen vom Territorium der Ukraine, noch fordert es ein Ende der Bombardierung ukrainischer Städte. Welche „Kompromisse“ werden denn seitens der Ukraine erwartet? – Aufgabe der besetzten Gebiete, sowie der Krim? Volksabstimmungen in den besetzten Gebieten unter Aufsicht der UNO? – Bis dahin dürfte die ukrainische Bevölkerung dort verschwunden oder marginalisiert sein, ebenso wie dies auf der Krim mittlerweile der Fall ist.

Die Frage des Selbstverteidigungsrechts

Das Manifest fordert "die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen“. Bezeichnend, dass der Begriff „Eskalation“ sich nicht etwa auf terroristische Kriegshandlungen der russischen Seite wie die Bombardierung von Städten bezieht, sondern auf westliche Waffenlieferungen. Nach Völkerrecht steht der Ukraine das Selbstverteidigungsrecht zu. Auch eine „Nothilfe“ anderer Staaten ist völkerrechtlich abgesichert. Die USA, das Vereinigte Königreich wie auch Russland haben im Budapester Memorandum von 1994 die Sicherheitsgarantien für die Ukraine übernommen, nachdem diese sich zur Übergabe ihrer sowjetischen Atomwaffen an Russland verpflichtet hatte. Diese für die Ukraine fundamentale, international verbriefte Sicherheitsgarantie wurde von Russland mit der Annexion der Krim gebrochen. Gleich wie man zu Waffenlieferungen im Einzelnen steht: Es ist legitim, der Ukraine Waffen zu liefern, die der Verteidigung bzw. ihrer Souveränität und territorialen Integrität dienen. Ohne entsprechende Waffen ist das Selbstverteidigungsrecht nicht zu verwirklichen. Ohne westliche militärische Unterstützung könnte die Ukraine dem russischen Angriff nicht standhalten. Russland setzt auf Gewalt und auf das Recht des Stärkeren. Man muss sich schon klarmachen, dass ein genereller Verzicht auf Waffenlieferungen die militärische Position Russlands gegenüber der Ukraine stärken und die Unterwerfung des angegriffenen Staats in Kauf nehmen würde.

Was würde mit der Ukraine geschehen, wenn das Regime Putin seine Kriegsziele erreicht?

Das System des Putinschen Autoritarismus würde auf das Gebiet der Ukraine oder im Fall von „Kompromissen“ auf Teilgebiete dauerhaft übertragen. Das hieße Absetzung aller demokratisch gewählten Organe und Körperschaften, ihre Ersetzung durch russlandfreundliche Kräfte, Verfolgung der Mandatsträger*innen und aller, die den Organen des ukrainischen Staates die Treue halten, oder sich einfach nur als Ukrainer*innen verstehen, so wie es in den russisch besetzten Gebieten derzeit schon der Fall ist. Die demokratischen Institutionen der Ukraine würden abgeschafft und das autoritäre System Russlands installiert. Es ist die Gleichgültigkeit gegenüber dieser Frage, die das Manifest so anschlussfähig nach rechts macht. Hier findet der Schulterschluss der Autokraten und Antidemokraten statt. Natürlich hat ein Trump – genauso wenig wie die Repräsentanten der AfD und andere Antidemokraten –, kein Problem damit, wenn die Ukraine unter ein repressives, autokratisches System fällt. Sie wollen die Demokratie abschaffen, im Westen genauso wie im Osten. Die Abwertung demokratischer Institutionen und Errungenschaften, findet man auch bei Sahra Wagenknecht, wenn sie hämisch von „unserer, ach so schönen Demokratie …“ spricht. Defizite liberaler Demokratien werden von Ihresgleichen gerne im Vergleich mit autoritären Systemen hervorgehoben, um festzustellen, dass das eigene System doch nicht viel besser sei. So werden demokratische Werte relativiert, statt ausgebaut – auch hier der Anschluss an rechts.

Frieden nur im Rahmen des Völkerrechts

Sicher, Verhandlungen, Diplomatie entsprechen unseren Werten, den Werten der Zivilisation. Leider sind es nicht die Werte des Putin-Regimes, das auf Gewalt und das Recht des Stärkeren setzt. Die freie Wahl zwischen militärischem Widerstand und Diplomatie gibt es nicht. Wirklichen Frieden kann es nur auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen geben, im Rahmen des Völkerrechts, das, jawohl, letztlich in Verhandlungen, gegen brutale Gewalt durchzusetzen ist.