Klartext

"Hände weg vom Streikrecht!"

Janine Wissler im Gespräch mit Streikenden

Klar, der Streik tat weh. Viele Menschen hatten Schwierigkeiten, zur Arbeit zu kommen oder die Kinder zur Schule zu bringen. Aber dieser Streik gerechtfertigt. Er ist auch Ausdruck der Empörung und der Wut der Menschen. Die Preise steigen, aber die Löhne nicht. Die offizielle Inflationsrate von 8,7 Prozent ist irreführend. Denn bei Lebensmitteln beträgt die Teuerung mehr als 23 Prozent, bei Energie fast 20 Prozent. Angesichts dieser Zahlen erscheinen die 10,5 Prozent oder 500 Euro, die ver.di für die Angestellten im öffentlichen Dienst fordert, fast schon moderat.

Deutschlands Konzerne schütten in diesem Jahr so viel Dividende aus wie nie zuvor. Milliarden für Aktionäre, Peanuts für die, die den Reichtum erarbeiten. Das darf nicht sein! Die Angestellten des Öffentlichen Dienstes sind das Rückgrat der Gesellschaft: Ohne Busfahrer*innen, Krankenschwestern, Müllwerker*innen oder Kita-Erzieher*innen läuft hier nichts. Die Bahnbeschäftigten sorgen täglich dafür, dass Millionen überhaupt zur Arbeit kommen. Dabei werden die Arbeitsbedingungen in der Branche immer mieser, die Bezahlung auch.

Harte Arbeit, wenig Geld

Wer im öffentlichen Dienst steht und Bus fährt, verdient im Schnitt 2500 Euro brutto. Wer eine Lok fährt, hat ein Grundgehalt von 3000 Euro brutto. Reichte das Gehalt schon vor den jüngsten Preisexplosionen hinten und vorne nicht, wird es für viele existenziell. Bei 60 Prozent der Menschen geht beinahe das gesamte Einkommen für Miete, Nahrung und Energie drauf. Die können kaum noch etwas zurücklegen. Wenn das Geld fürs Restaurant oder den Urlaub fehlt, dann verstärkt das den gesamtwirtschaftlichen Abwärtstrend. Die vielen Pleiten im Einzelhandel sind doch auch Folge der Reallohnverluste. Gleichzeitig gehen die Profite der Konzerne in der Krise durch die Decke. In Deutschland leben 1,6 Millionen Millionäre. Doppelt so viele wie 2008. Die Regierung muss Gewinne und riesige Vermögen endlich gerecht besteuern.

Doch davon ist dieses Land weit entfernt. Stattdessen suchen Konservative die Schuld bei den Gewerkschaften und Arbeitnehmer*innen. Das zeigte sich deutlich am Montagabend bei der ARD-Talkshow „Hart aber fair“. Diese hatte den großen Streik zum Thema. Gitta Connemann von der CDU-Mittelstandsvereinigung forderte in der Sendung eine Verschärfung des Streikrechts in Deutschland. Der Streik am Montag sei „zu einem so frühen Zeitpunkt unverhältnismäßig, weil er sich nicht gegen Arbeitgeber richtet“. Die Wirtschaftslobbyistin forderte, eine „Ankündigungspflicht“ für Streiks gesetzlich festzulegen. Der Streik muss das letzte Mittel sein", so Connemann.

Unsere Vorsitzende Janine Wissler konterte: „Hände weg vom Streikrecht! Wir müssen überlegen, über wen wir hier reden: Über die Heldinnen und Helden der Corona-Krise, die Busse, Bahnen und Straßenbahnen fahren, die unsere Angehörigen pflegen und unsere Kinder betreuen." Die Angebote der Arbeitgeberseite würden für die Beschäftigten angesichts der Inflation Lohnkürzungen bedeuten. Besonders im Pflegebereich herrsche Personalmangel, weil die Menschen nicht genug verdienen. "Nicht der Streik gefährdet die Patienten, sondern der Normalzustand", so Wissler. Auch wenn der Streik von Konservativen und Neoliberalen als überzogen dargestellt wird, so stellt Wissler klar, dass es sich hier nur um einen Warnstreik gehandelt habe. Tatsächlich war er  ja zeitlich begrenzt.

Steigende Löhne sind gut für das Land

Auch wenn Politikerinnen der Union die Forderungen als unbezahlbar zurückweisen, so sind sie volkswirtschaftlich gesehen alles andere als eine Katastrophe. Im Gegenteil: Normalverdiener stecken Lohnerhöhungen nicht in Aktienpakete oder Spekulationsobjekte, sondern sie geben das Geld oft gleich wieder aus. Das hilft dem Einzelhandel mehr, als tausend warme Worte von der CDU-Mittelstandsvereinigung. Und selbst auf die geforderten Einmalzahlungen werden Rentenbeiträge gezahlt, sie haben somit Einfluss auf die Rentenhöhe. Die Einmalzahlungen fließen auch in die aktuelle Lohn- und Gehaltsentwicklung ein, an der sich die Rentenerhöhungen orientieren. Das gilt natürlich erst recht für das geforderte Lohnplus. Also: Je höher der Abschluss, desto höher steigen die Renten. Insgesamt also für Arbeitnehmer*innen und Rentner*innen eine Win-win-Situation.

Auch für den Bund wäre die Sache weniger dramatisch, als es die Regierung darstellt, schließlich wird ein Teil der Lohnerhöhungen durch Steuern wieder abgeschöpft. Die sozialen Sicherungssysteme profitieren ebenfalls von steigenden Löhnen, schließlich bemessen sich Krankenversicherung- und Rentenbeiträge nach der Einkommenshöhe. Zumindest bis zur Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 5500 Euro pro Monat. Doch so viel verdient keine Busfahrerin.