Wahlkampfbeobachtungen

Das gute Leben für alle: Nähe, Vertrauen und Hoffnung.

Das Ergebnis der Landtagswahlen am 8. Mai in Schleswig-Holstein war für Die Linke eine weitere schwere Niederlage. Sie ist nun eine "sonstige Partei". Nur 23.054 Menschen wählten Die Linke. 1,7 Prozent der Zweitstimmen. Rainer Benecke und Markus Jakupak waren im Wahlkampf für Die Linke in ganz Schleswig-Holstein unterwegs. Sie berichten von verlorenem Vertrauen, aber auch davon, wie durch Überzeugungsarbeit vor Ort das Vertrauen in linke Politik wieder zurückgewonnen werden kann.

Markus Jakupak (links) mit Team: Gleich geht’s an die Türen

"Wellmann...Wellmann...."Johann Knigge-Blietschau merkt sich leise flüsternd diesen Nachnamen. Wenige Wochen vor der Landtagswahl am 8.Mai 2022 ist er in Kiel-Mettenhof mit Jonas Thiel vom Jugendverband an den Haustüren unterwegs. Die erste Hürde ist genommen, die Haustür in der Stockholmer Straße hat sich geöffnet. Sie sind im Treppenhaus eines großen Mietshauses: 21 Partien, 7 Stockwerke, Fahrstuhl. Immer oben anfangen, das haben sie gelernt, das schont die Kräfte. Johann beugt sich über das Klingelschild an der Wohnungstür im siebten Stock: "Wellmann" sagt er zu Jonas, klingelt - und wartet. Sie hören Schritte, rücken sich die FFP 2 - Maske mit dem Die Linke-Logo zurecht und gehen auf Abstand. Die Wohnungstür öffnet sich, ein fragender Blick....

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Haustürwahlkampf geht auch in Coronazeiten: Maske auf, klingeln, 1,5m Abstand

Jonas beginnt: "Guten Tag, Frau Wellmann, ich bin Jonas Thiel und das ist Johann Knigge-Blietschau. Wir sind von der LINKEn und sammeln Unterschriften für die Wiedereinführung der Mietpreisbremse. Können wir Sie dafür interessieren?" Beide wissen, dass dieses Haus der Vonovia gehört, wie fast alle Häuser in der Gegend. Und sie haben gesehen, in welchem erbärmlichen Zustand Häuser und Wohnungen teilweise sind und dutzendmal gehört, welche absurden Mieten die Menschen teilweise zahlen. Johann ist hier Wahlkreiskandidat und klingelt in dieser Straße in jedem Wohnhaus. Stockwerk um Stockwerk. Viele Menschen reagieren abwartend, manche machen, wenn sie die Partei hören, die Tür wieder zu. Viele aber freuen sich, dass jemand an die Tür kommt und sich um das kümmert, was sie bewegt. "Ministerpräsident Günther von der CDU und seine Jamaica-Koalition haben die Mietpreisbremse vor rund zwei Jahren abgeschafft, Die Linke möchte mit dieser Petition erreichen, dass der Landtag sich damit befasst und die Mietpreisbremse als ersten Schritt zur Begrenzung der Mieten wieder einführt. Wir brauchen auch Ihre Unterschrift, damit der Landtag sich damit beschäftigt....

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Frau Wellmann, erst vor kurzem von einer Mieterhöhung betroffen, stellt Fragen. Jonas und Johann antworten. Frau Wellmann unterschreibt. "Mal sehen, ob es etwas nützt..." Johann Knigge- Blietschau grinst verschmitzt: "Machen Sie´s möglich! Wählen Sie uns!"

 

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Toll, dass in Lübeck so viele dabei sind

Wenige Wochen vorher, noch im Winter. Susanne Spethmann ist die Nummer eins der Landesliste, Krankenschwester, setzt sich in einer Podiumsdiskussion mit anderen Kandidierenden zur Landtagswahl am 8. Mai als einzige dafür ein, dass die Gehälter im Gesundheitswesen erhöht werden, der Pflegebereich aufgewertet wird: "Klatschen allein genügt nicht - die Arbeitsbedingungen auch in meiner Einrichtung müssen verbessert und die Zwei-Klassenmedizin überwunden werden. Das ist auch die Aufgabe der Landesregierung! Dafür werde ich mich im Parlament einsetzen!" Später, in anschließenden persönlichen Gesprächen überzeugt sie temperamentvoll und engagiert und wirbt um Vertrauen: "Ich bin Krankenschwester und weiß, wovon ich rede, wenn ich sage: Gemeinwohl vor Profite! So steht´s auf unseren Plakaten. Das gute Leben für Alle! Mit Herz! Doch dafür müssen Sie mich am 8. Mai wählen...."

                                                                      

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Ende November 2021, einige Wochen nach der Bundestagswahl. Tjark Naujoks ist mal wieder in Flensburg an den Haustüren unterwegs. "Das desaströse Wahlergebnis zur Bundestagswahl am 21. September verarbeite ich so am besten" sagt er. "Um über's Saarland gar nicht erst zu reden... Mit den Leuten reden, ihnen zuzuhören und wieder zu wissen, dass wir mit unserer Politik nicht falsch liegen. Dass uns und unsere Politik mehr als nur 4,9 Prozent mögen....dass wir gebraucht werden". Auch er ist Gesundheits- und Krankenpfleger, 26 Jahre jung und inzwischen Gewerkschaftssekretär bei ver.di in Flensburg. Hier, nahe der dänischen Grenze, ist er Direktkandidat und Platz 4 der Landesliste Die Linke Schleswig-Holstein. Er ist mit Sönke Weise und anderen in den Gebieten in Flensburg an den Haustüren unterwegs, in denen die Partei bisher bei Kommunal- und Landtagswahlen gute Ergebnisse hatte. Dafür wurden die bisherigen Wahlen ausgewertet und Mappings, Übersichtskarten, erstellt.  

Infotisch auf dem Marktplatz in Heide/ Holstein.

Tjark klingelt, stellt sich vor und fragt: "Wo drückt der Schuh?". Er hört von den Sorgen und Problemen, bietet konkrete Hilfe an- und gewinnt die Erkenntnis, dass auch in Flensburg die Entwicklung der Mieten, alles rund um das Thema Wohnen die Menschen häufig bedrückt - neben der Pandemie, der Angst vor einer Infektion und der Frage, wie belastbar das unterfinanzierte Gesundheitswesen und die dort Beschäftigten auch in Flensburg sind.

 

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Ob in Lübeck mit Dalia Mecker, Florenz Marquardt und Andreas Müller, in Norderstedt mit Finn Frey, Hermann von Prüssing oder Mathias Wyst. Ob in Kiel, in Flensburg, aber auch mitten in Dithmarschen, in Heide, fast 21.000 Einwohner:innen: Wohnen, die Kosten für's Wohnen und die Probleme drumherum sind ein auch in Schleswig-Holstein stark bewegendes Thema. Das ist das nicht repräsentative Ergebnis der 100fach gestellten Frage "Wo drückt der Schuh?" Der Landesvorstand diskutiert. "Daniel Günther trägt mit seiner Koalition die Verantwortung für die Ängste vieler, vieler Mieter:innen in Schleswig-Holstein, denn er hat die Mietpreisbremse zwischen Nord- und Ostsee vor zwei Jahren unwirksam gemacht. Und nun steht sie da, die Kostenmauer und die Schleswig-Holsteiner:innen fahren ungebremst auf sie zu" sagt Oleg Gussew, Landessprecher Die Linke. "Das werden, das müssen und können wir gemeinsam ändern!" Die Unterschriftensammlung zur Wiedereinführung dieser Ersten-Hilfe-Maßnahme, der Mietpreisbremse, wird formuliert. Gleichzeitig startet eine Online-Kampagne und die Postkarte mit QR-Code, die zur Online-Unterschriftensammlung führt, wird hergestellt. "Falls mal jemand an der Tür noch nicht überzeugt werden konnte, lassen wir das dann da, für später..." schmunzelt Björn Thoroe, zusammen mit Daniel Hofmann Wahlkampfleiter für Die Linke in Schleswig-Holstein. Björn Thoroe kandidiert in Kiel-Gaarden und ist dort in der Mieter:innenbewegung bekannt. Er sammelte Unterschriften - auch in Gaarden erzielte Die Linke am Wahltag gute Ergebnisse.

                                                                      

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Es funktioniert nicht nur in Kiel, es klappt auch auf dem flachen Land, abseits der Städte. In Heide ist Thomas Palm gemeinsam mit Lars Thiele-Kensbock unterwegs. Beide sind hier Stadträte, beide klappern mit der Unterschriftensammlung die Gegenden ab, in denen Die Linke bisher auf größere Zustimmung stieß: Helgoländer Straße, Fehrsplatz, Föhrer Straße. Auf Deutschlands größtem umbauten Marktplatz - den hat nur Heide in Dithmarschen - stehen sie jeden Samstag mit einem Infostand. Sie sprechen die Leute an. Und als sich am 25.März mitten im Wahlkampf einige Menschen vor der St. Jürgens-Kirche am Südermarkt treffen und dort mit Transparenten und einem Rundgang um den Markt ihren Beitrag zum globalen Klimastreik leisten, ist Die Linke-Fahne auch dabei, getragen von Stadtrat Lars. Für Lars und Thomas ist es Klimastreik und zugleich ein kleiner Nachbarschaftstreff. Man kennt und vertraut sich, man sorgt sich gemeinsam um: Das gute Leben für Alle.

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Weiter im Wahlkampf, wir lernen Schleswig-Holstein kennen: In Rendsburg klopfen und klingeln wir mit mit Maximillian Reimers an den Türen, in Neumünster mit Fritz Ewert. In Itzehoe waren Gaivan Höpner, Emil Gerlach, Nikita Gustchew und Stefan Freiwald fleißig. Ahrensburg erlebt Ali Mercan. Er motiviert zusammen mit Dina-Maria Kembouche-König und Andre Elsen einige Die Linke-Mitglieder zu häufigeren Haustürgesprächen mit Unterschriftensammlung, sucht jede Möglichkeit, um ins Gespräch zu kommen. In Elmshorn ist es Ilona Menck-Tapper, die als Direktkandidiernde immer wieder mit der Petition zur Mietpreisbremse an die Türen geht. In Plön und Preetz besuchte Gabi Geschwind-Wiese zusammen mit Senta, Ruben und Lasse die Anwohner:innen. Wir sind in Wedel unterwegs, bevor wir uns den Miethai aufblasen und uns mit Marianne Kolter, Platz 3 auf der Landesliste, in die Einkaufsstraße stellen. Und alle, die dabei sind, haben das Gefühl: Mieten. Ja, damit haben wir eine Sorge angesprochen. Mietpreisbremse.Ja, damit haben wir eine Lösung angeboten. Wiedereinführung (!) der Mietpreisbremse, das ist tatsächlich der erste Schritt aus der Angst, eines Tages die Miete nicht mehr zahlen zu können. Verantwortlich für diese Angst: Günther und seine Koalition. Wer überzeugt mit einer Lösung: Die Linke. Noch kein Mietendeckel, aber immerhin. Wahlkampf, wie er sein soll. So schaffen wir Vertrauen. Keine Parolen, Taten.

Ilona Menck-Tapper war Direktkandidatin in Elmshorn.

 

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Wahlkampf, wie er nicht sein soll: Die Prognosen für Die Linke in Schleswig-Holstein werden trotzdem immer schlechter. Die Partei zog 2009 als Hoffnungsträgerin nach der Vereinigung von PDS und WASG in Fraktionsstärke mit 6 Prozent und 6 Abgeordneten in den Kieler Landtag ein. Die Fraktion zerstritt sich, schuf keinen Gebrauchswert für den Alltag der Menschen. So flog sie 2012 mit 2,3 Prozent aus dem Parlament. Bei der folgenden Wahl 2017 krabbelte sie auf 3,8 Prozent. 2022 wird Die Linke in den Prognosen nur noch unter "Sonstige" verbucht. Sie steckt noch einmal kurz den Kopf hervor. Drei Prozent für kurze Zeit, die für einen eigenen Prognose-Balken reichen - danach verschwindet sie wieder unter den "sonstigen Parteien" Sonstige. Unsere Partei. Das schmerzt.

 

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Sonstige. Kein Wunder, denn die Probleme unserer Partei wurden zuletzt mit dem katastrophalen Ergebnis zur Bundestagswahl sichtbar. Schuldzuweisungen, politische Beliebigkeit bis zur Unkenntlichkeit, teilweise unvereinbare Positionen. Alles wurde unter dem Etikett der "Pluralität" zugelassen, auch wenn sie der Vorstellung einer Gesellschaft, in der "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (Marx/Engels, Manifest...) radikal widersprachen. Der Versuch einzelner populärer Politiker:innen der Linkspartei mit Zugang zu den Massenmedien, rechtspopulistische Positionen in der Migrationspolitik als linke Politik zu verkaufen, trug zur Niederlage bei. Weiter: Linke Politiker:innen unterstützten die von Rechts und Nazis aller Art geförderten Protestbewegung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Sie machten gegen Impfung, Masken und Isolation mobil. Dem waren auch die Wahlkämpfer:innen in Schleswig-Holstein ausgeliefert. Sie begegneten dieser Kakophonie in Sachen Corona in Heide ganz konkret: "Die Linke impft!".

Thomas Palm, auch Kreisvorsitzender in Heide, fand daraufhin eine tote Ratte im Briefkasten. Eine eindeutige Drohung von Rechts, nach der Impfaktion -  genauso wie die vielen Postkarten an Kandidierende und andere Politiker:innen der Linkspartei, die mit Anspielungen auf die Ermordung demokratischer Politiker:innen Angst erzeugen sollten. 

In Glückstadt, der Stadt mit dem norddeutschen Abschiebeknast, demonstrierte Die Linke anlässlich zum kommenden "Tag gegen den Rassismus", am 19. März, für die Umwandlung des bizarr gesicherten Abschiebeknasts mit seiner sechs Meter hohen Mauer: Der Knast muss ein Zentrum für das friedliche Zusammenleben werden. Die Abschiebung bis in den Tod ist sofort zu beenden.

                                                                                  

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Der 24. Februar allerdings veränderte alles, auch den Wahlkampf in Schleswig-Holstein, die Stimmung an den Türen, auf der Straße, im Gespräch. Putin und Russland überfielen die Ukraine. Den völkerrechtswidrigen Einmarsch begründete Putin mit großrussischen Phantasien. Er empfahl bereits 1993 für Russland den Weg, den Pinochet in Chile 1973 blutig durchsetzte. Putin brach mit dieser "Spezialoperation" einmal mehr das Völkerrecht.

 

 

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Die Linke verurteilt diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf das Schärfste. Sie fordert die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen und den Rückzug der russischen Truppen auf ihr Territorium. Doch wieder sind es einige verbliebene Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, die uns den Wahlkampf noch schwerer machen und gerade gewonnenes Vertrauen vernichten. Der Krieg sei eigentlich ein NATO-Krieg, behaupten sie und finden dafür Öffentlichkeit. Gregor Gysi widerspricht - doch DIE LINKE wird als sich streitende Partei wahrgenommen. "Putin-Versteher"- das hören wir jetzt öfter an den Türen, an den Infotischen, mitten im Wahlkampf. Wir verweisen auf unsere Erklärung und leisten praktische Hilfe. Johann Knigge-Blietschau fährt gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Linkspartei an die polnisch-ukrainische Grenze, in die Nähe von Lviv. Er holt Geflüchtete nach Norddeutschland.

Darauf haben wir uns im Wahlkampf verständigt: Wir wollen nicht nur durch Nähe und mit Worten überzeugen. Wir wollen das Vertrauen der Menschen durch Taten gewinnen. Doch unsere bescheidene Hilfe an der ukrainischen Grenze kann die Kakophonie, den unentschiedenen Eindruck, den Die Linke auch in dieser Frage hinterließ, nicht beseitigen. Darum noch einmal, auch hier: Die Linke verteidigt das Völkerrecht. Die Charta der Vereinten Nationen von 1945 ist auch Ausdruck der Befreiung vom Nationalsozialismus. Russlands Krieg in der Ukraine bricht das Völkerrecht.

 

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"Im Norden sind wir Wind von vorn gewohnt - büsch'n Rückenwind hätten wir gern gehabt!" sagen sich die Wahlkämpfer:innen in Schleswig-Holstein angesichts dieser Situation. Sie werben weiter für die Mietpreisbremse, einen kostenlosen ÖPNV, saubere Windenergie aus dem Norden statt fossilen Schweinkram, eine gute Gesundheitsversorgung, gleiche Bildungschancen, keine weiten Wege zu Ärzt:innen, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen. Sie werben für eine humane Geflüchtetenpolitik und wertschätzenden Umgang mit allen Menschen.Sie werben für die sozial-ökologische Wende und finden bei den Menschen Zustimmung: "Ja, es kann so nicht weitergehen. Aber die notwendige Dämmung für dieses Haus und meine Wohnung muss die Vonovia zahlen, nicht ich als Mieterin.Da haben Sie völlig recht!". Ja, Die Linke bietet überzeugende Lösungsvorschläge für das tägliche Leben der Menschen in Schleswig-Holstein an. Ja, Die Linke in Schleswig-Holstein will überzeugen statt empören. Die Linke weiß, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen die mit Empörungsrhetorik ausgelösten Emotionen nur der politischen Rechten nützen. Die Linke verteidigt die Demokratie.

Mit einer auf Überzeugung setzenden Kampagne wird in Print und Video, online in den Netzwerken und im Gespräch für "Das Gute Leben Für Alle" geworben. Die LINKE-Idee für das demokratische und auskömmliche Zusammenleben aller wird - in einem Herzen zusammengefasst - zum Herz der Kampagne. Das Gute Leben für Alle. Das Gespräch mit unseren Nachbar:innen, mit den Kolleg:innen, mit den Freund:innen ist die erfolgreichste Form ist, um zu überzeugen. Das Gespräch schafft Nähe und Vertrauen. Hoffnung wird geschöpft: Das Leben kann leichter werden, es kann sich ändern. Nein, die da oben können nicht mit uns machen, was sie wollen, wenn wir zusammen handeln. Darum findet jedes Mitglied der Linkspartei in Schleswig-Holstein einen Unterschriftsbogen mit der Petition zur Mietpreisbremse im Briefkasten, liebevoll vom Genossen „Joker“ gepackt. Die Aufgabe: Möglichst fünf Unterschriften sammeln. Mit den Nachbar:innen, Kolleg:innen und Freund:innen über Politik und die Landtagswahl zu reden. Um jede Stimme kämpfen. Das Ergebnis: Naja.

 

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Gemeinwohl vor Profite! Mach´s möglich! Und tatsächlich, kurz vor der Wahl twitterte ein bisheriger Wähler der SPD, dass er allein wegen der ihn überzeugenden Plakatkampagne Die Linke wählen werde. Hoffnung bei den Aktiven auf den letzten Metern, Kraft für die letzten Haustürgespräche.

 

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Wir waren im Wahlkampf in Schleswig-Holstein an über 3.000 Haustüren - und führten viele, viele Gespräche. Wir waren in den Parks, auf den Straßen, auf den Plätzen und vor Einkaufszentren unterwegs. Einfach so, ohne Infotisch, nur mit dem Klemmbrett und unserer Unterschriftenliste in der Hand. Wir sprachen die Menschen an - und lernten alle Reaktionen kennen. Krasse Ablehnung, null Reaktion, freundliches Desinteresse, punktuelle Übereinstimmung, aber auch Anerkennung, manchmal Mitleid wegen...siehe oben.

Am 6.5. gaben wir dann - unterstützt von einer kleinen Aktion mit einigen Kandidierenden, Transparenten und einer Pressemitteilung - weit über 2.000 Unterschriften im Landtag ab.

                                                                      

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8. Mai, Wahlabend.18:00 Uhr. Die erste Hochrechnung. Die Linke 1,7 Prozent - unsere Partei verliert noch einmal fast 2,1 Prozent. Sie ist neben der SPD eine der großen Wahlverliererinnen. Sonstige Parteien. Haushoher CDU-Sieg mit 41,9 Prozent, Grüne gewinnen mit 18,9 Prozent fast 10 Prozent hinzu, die FDP verliert mit 6,1 Prozent über ein Prozent der Erststimmen. Die gute Nachricht: Die AfD ist nicht mehr im Landtag. Aber: Fast 40 Prozent der Wahlberechtigten Schleswig-Holsteins sind nicht zur Wahl gegangen - vor allem aus den Wahlkreisen, die von Armut betroffen sind. Dort haben wir zwar gearbeitet, Wahlkampf gemacht. Es war jedoch nicht genug. Wir waren nicht genug. Dort müssen wir besser werden. Auch mit ehrenamtlicher Arbeit. Auch zwischen den Wahlen. Durch Nähe Vertrauen gewinnen, Hoffnung schaffen.Überzeugen statt empören. Bei Strafe des Untergangs.

 

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8. Mai, 18:30. Zusammen siegen wir, zusammen verlieren wir. You´ll Never Walk Alone. Auf der Wahlparty von Die Linke ist die Stimmung - naja, sagen wir: gefasst. Der Wahlkampf mit viel, viel Gegenwind, Windstärke 10, wird besprochen. Das gut gekennzeichnete Awarenessteam um Kerstin Schöneich ist auf der Party sichtbarer Ausdruck einzelner Böen, die uns im Wahlkampf trafen, aber auch der langsam beginnenden Aufarbeitung des  #linkemetoo-Skandals. In Lübeck waren wir noch sehr erfolgreich mit Susanne Hennig-Wellsow an den Türen unterwegs, heute, am Wahlabend, ist sie nicht mehr Co-Vorsitzende. Zurückgetreten. Auch Ausdruck der Krise, des Schlamassels, in dem wir stecken.

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Heidi tritt im April vor den Landtagswahlen noch in DIE LINKE ein.

Sehr viele Genoss:innen sind es am Wahlabend in der "Pumpe" in Kiel nicht geworden. Wir freuen, uns, dass wir vor der Tür auf Heidi treffen, die an der Tür in Kiel-Mettenhof in Die Linke eingetreten ist. "Schön, dass ihr kommt, wollte schon immer...." sagte sie an ihrer Wohnungstür zu uns. Auch Andreas Schmidt wird im Wahlkampf Mitglied und auf der Wahlparty auf der Bühne vorgestellt: "Kopf hoch, ihr Lieben" sagt Andreas, "ich bin im Wahlkampf Mitglied geworden. Und in dem Wahllokal, in dem Gaby" - Andreas schaut seine Lebensgefährtin an -" und ich heute Morgen gewählt haben, haben wir für unsere Direktkandidatin 6,2 Prozent der Stimmen geholt. 6,2 Prozent der Stimmen für Ilona Menck-Tapper - sonst haben wir auch in Elmshorn Stimmen verloren. Aber nicht in meinem Wahllokal. Das ist das Wahllokal der Gerhardstraße/Gärtnerstraße!"  Beifall.

Andreas schildert, dass Die Linke Elmshorn eines Tages an seiner Tür war, Unterschriften für die Mietpreisbremse sammelte - und sich nach dem Stand der Auseinandersetzung um die Mietverträge der Bewohner:innen der Häuser Gerhardstr 6-10 erkundigte. Aus der Wohnung gegenüber kam Linda hinzu. Alle machten es sich im Flur gemütlich. Ja, der Besitzer wolle jetzt ihre Wohnhäuser abreißen, eine Genehmigung liege schon vor. Nein, sie wollen nicht ausziehen. Ja, die Stadt hätte sich zumindest nicht gegen diesen Abriss geäußert, obwohl doch klar sei, dass sie keine vergleichbar preiswerten Wohnungen finden würden. Sie suchen ja...aber die Angebote sind unbezahlbar. Außerdem sind sie seit Jahrzehnten hier im Haus und in einer wunderbaren, sich gegenseitig helfenden Nachbarschaft, die nun vernichtet wird. Den Garten, ihren geliebten, gehegten und gepflegten Garten, hätte der neue Besitzer schon zerstört. Er hat die uralten Bäume einfach umgehauen. " Nein, einen Umzug, das werde ich nicht überleben" seufzt Linda im Hausflur, umgeben von Nachbar:innen und Die Linke-Wahlkämpfer:innen. " Ich bin 84!"

 

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Ilona Menck-Tapper, Karin Kunkel, Hans-Ewald Mertens, Udo Rauhut, Rene König und die anderen Genoss:innen aus Elmshorn fackeln nicht lange. Sie laden die Mieter:innen der Gerhardstraße wenige Tage später in ihr Büro ein, bieten Kaffee, Tee und Kuchen an und bitten eine Rechtsanwältin hinzu. Sie übernimmt die juristische Betreuung der Mieter:innen - Die Linke sammelt derweil Unterschriften für den Erhalt der Häuser und des preiswerten Wohnraums in der Gerhardstraße 6-10. Sie versucht, in der Stadt und im Stadtrat alle Hebel für den Erhalt der Häuser in Bewegung zu setzen. Sie schmiedet politische Allianzen, hilft bei der Pressearbeit, sucht und überzeugt neue Verbündete: Inzwischen sammeln Pizzaboten bei ihren Kunden bei der Lieferung Unterschriften. "Gerhardstraße bleibt!" Da muss der Genuss der leckeren, heißen Margherita noch ein wenig warten, erstmal unterschreiben. Da hilft ein Bericht im "Abendblatt", der die Beteiligung der Linkspartei erwähnt. Da hilft ein kleines Nachbarschaftsfest, von Linken und den Nachbar:innen gemeinsam organisiert. Da hilft der 1. Mai, Gregor Gysi spricht auf Einladung des DGB und unterschreibt." Gerhardstraße bleibt!" So wird Vertrauen gewonnen, so wird überzeugt.

                                                                      

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Das Wahlergebnis in Schleswig-Holstein ist eine weitere, eine schwere Niederlage für Die Linke. Doch nicht nur aus Elmshorn gibt es in der Niederlage Gutes zu berichten. In Flensburg erzielen wir im Wahlbezirk 9 beim Gesundheitshaus 10 Prozent. Der engagierte Wahlkampf und die Politik der Linkspartei von Katerine Hoop, Luca Grimmiger und den anderen Mitgliedern zwischen den Wahlen hat sich gelohnt. So wurde Vertrauen erarbeitet. Beispiel Lübeck: Die gute parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit in der Bürgerschaft und mit den Menschen in der Stadt, geleistet von Katjana Zunft, Sascha Luetkens, Sebastian Kai Ising und allen anderen in den Vereinen, Gewerkschaften, politischen Initiativen machte sich ebenfalls bemerkbar. Auch in Kiel waren wir dort, wo wir an den Türen waren und die Leute überzeugten, Lösungen wie die Wiedereinführung der Mietpreisbremse anboten, immer besser als anderswo. In dem Wahllokal in der Straße, in der Spitzenkandidat Johann Knigge-Blietschau mit den Kieler Genoss:innen an jeder Tür klingelte, erzielten wir 10,3 Prozent für die Erststimme und 8,3 Prozent für die Zweitstimme. Auch in Heide sind unsere Stadträte auch außerparlamentarisch aktiv. Dort hat Die Linke deutlich mehr an Erststimmen erzielt, wo aktiv gearbeitet, geklingelt und gesteckt wurde. Wo wir die Nähe suchten, Vertrauen erwarben und Hoffnungen weckten und überzeugten, waren wir gut. In der Helgoländer Straße zum Beispiel sind es 5,7 Prozent, um den Fehrsplatz 6 Prozent.

 

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Wer hat´s gemacht? Na, die Genoss:innen vor Ort. Leider nicht alle. Viel zu wenig. Wäre es uns gelungen, noch mehr Mitglieder in den Wahlkampf, in die persönliche Ansprache einzubeziehen, wäre das Ergebnis deutlich besser geworden. Es waren - und sind - immer dieselben zwei bis drei Genoss:innen, die vor Ort mit unseren möglichen Wählerinnen und Wählern reden. Die Social Media machen, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Darum bedanken wir uns bei Ann, Kerstin, Tamara, bei Alban, Gösta, Jonas, Steffen, Noah und Eline, die uns in ganz Schleswig-Holstein vor Ort und immer unterstützt haben. Besonders zu erwähnen ist das Engagement der Linksjugend 'solid, die im Wahlkampf nicht nur ihre Strukturen im ganzen Land ausweiteten, sondern auch Gespräche an Infoständen, bei Demos oder an den Haustüren führten. Gemeinsam mit ihnen, mit allen Aktiven, fordern wir Vorstände und Vorsitzende aller Gliederungen der Partei und ihrer Fraktionen auf, die Arbeit in den Wohngebietsgruppen, in den Basisorganisationen und den Arbeitsgemeinschaften in das Zentrum der Arbeit unserer Partei zu stellen. Seid "unten" mit dabei, helft mit, lernt, dass "unten" eigentlich "oben" ist! Unten. Dort lebt unser Laden. Oder eben nicht. Er wird erfolgreich sein, wenn es auch an der Basis klappt. Wenn dort an spannenden Abenden miteinander politisch diskutiert wird, Ansätze zur Veränderung vor Ort gesucht und gefunden werden, auch kleinste Erfolge errungen werden, wenn wir durch die Nähe zu den Menschen überzeugen- und wenn´s mit dem, was unsere Promis sagen, übereinstimmt: Dann sind wir einen wichtigen Schritt auf dem Weg der Erneuerung gegangen. Schön wäre es, wenn uns auch alle unsere Abgeordneten dabei unterstützen würden.Vor Ort.

                                                                                  

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Wir Wahlkämpfer:innen aus Schleswig-Holstein sind uns einig:

Um die Vielstimmigkeit der Linkspartei durch klare Botschaften zu ersetzen, die erkennbare Dissonanz zwischen Partei und Bundestagsfraktion zu beenden, braucht es ein strategisches Zentrum. Der Parteitag im Juni muss liefern. Das strategische Zentrum ist die Partei mit ihrem Vorstand und ihren Vorsitzenden. Wir, die wir in Schleswig-Holstein im Wahlkampf unter schwierigsten Bedingungen kämpften, brauchen keine Empörungsmaschinist:innen, die von der Tribüne des Parlaments oder aus dem Sessel einer Talk-Show dieses oder jenes fordern oder entlarven. Es braucht, um gewählt zu werden, gemeinsam erarbeitete Lösungsvorschläge. Lösungen, die das Leben der Mehrzahl der Menschen erleichtern. Lösungen, die wir gemeinsam mit den Menschen durchsetzen, eine Strecke ausmessen, uns gemeinsam auf den Weg begeben- siehe Elmshorn. Fehler machen, aus ihnen lernen. So entstehen Lösungen, von denen wir unsere möglichen Wähler:innen überzeugen. So wächst Vertrauen. Nennt es Kommunalpolitik, wir nennen es linke Politik mit den Menschen vor Ort. Ja, Die Linke muss überzeugen - siehe Kiel-Mettenhof, Kiel-Gaarden, siehe Flensburg oder Lübeck. Dort boten wir konkrete Lösungen an, dort bliesen wir nicht nur den Miethai auf. (Auch das taten wir. Aber wir sagten auch, wie wir ihn, den Miethai, bekämpfen wollen, wo die Lösung liegt und was der nächste Schritt ist, wenn alle mitmachen.).

 

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Das Wahlergebnis zeigt: Die Linke braucht, um erfolgreich zu sein, jedes Mitglied. Wir brauchen das Wissen, die Klugheit, die Vernunft, die Nähe zu den Nachbar:innen und Kolleg:innen. Dazu müssen wir uns vor Ort treffen, gemeinsam diskutieren, gemeinsam arbeiten, gemeinsam Spaß am Erfolg haben. Wir Wahlkämpfer:innen aus Schleswig-Holstein wissen: Ohne unsere unserer Vorstände geht das nicht. Schaut bitte hin, gewinnt einen Eindruck vor Ort und helft uns bei der Verbesserung unserer Arbeitsweise! Und liebe Vorstände und Abgeordnete: Klar, ihr habt viel zu tun. Ausschuß hier, Sitzungswoche und Vorstandssitzung da. Noch einmal: Bitte seid vor Ort, helft mit - ihr werdet sehen, es wird belohnt. Einzelne waren da, kurz. Wir meinen etwas anderes. Wenn ihr mit dabei seid, außerparlamentarisch - nein, nicht nur auf Demos! - und in kleinen und kleinsten Bündnissen das Leben der Betroffenen, der Mieter:innen auch in Kiel, Pinneberg und Schleswig erleichtert, Lösungen erarbeitet, dann werden diese Menschen Die Linke und euch persönlich auch im Großen und Ganzen unterstützen. Dann haben wir sie überzeugt. Durch die Nähe wird das Vertrauen in linke Politik (wieder-)hergestellt. Ihr beobachtet Wahlen in fernen Ländern. Vor Ort. Das ist gut und notwendig. Kommt und helft auch hier vor Ort. Auch so wächst die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Lust auf mehr? Klar doch, unser Wähler:innenpotential liegt bei 18 Prozent. Das vermittelt uns eine Ahnung der eigenen, möglichen Stärke.

Die Bundestagswahl und die Landtagswahlen zeigen: Die Linke hat dramatisch an Vertrauen verloren. Schleswig-Holstein zeigt in der weiteren, schweren Niederlage aber auch: Wir können das Vertrauen zurückgewinnen. Und wie! Überzeugen wir, bieten wir Lösungen an. Dazu braucht es die Nähe zu den Menschen.Gemeinsam mit ihnen wird es gehen. Aus der Nähe wächst Vertrauen in uns, in Die Linke. Noch einmal: Unser mögliches Wähler:innenpotential beträgt 18 Prozent! An die Arbeit.