Hintergrund

Das System Tönnies

Das System Tönnies: Tödlich für Mensch und Tier

Die Corona-Ausbrüche in deutschen Schlachtbetrieben sind kein Zufall. Sie sind Folge der miesen Arbeitsbedingungen, unter denen die oftmals aus Osteuropa stammenden Beschäftigten schuften müssen. In der Fleischindustrie in Deutschland arbeiten derzeit 189.000 Menschen. Ein großer Teil von ihnen ist bei Subfirmen angestellt. Der mit 30 Prozent Marktanteil größte deutsche Fleischkonzern Tönnies beschäftigt die Hälfte seiner 16.500 Beschäftigten über Werkvertragsfirmen. Der Konzern begründet das auf seiner Webseite mit vermeintlichem “Fachkräftemangel“. Die Arbeiter der Subfirmen kommen aus Osteuropa. Rund die Hälfte der Beschäftigten in deutschen Schlachtbetrieben haben einen ausländischen Pass. Ob das aus anderen Ländern entsandte Beschäftigte sind, wird nicht erfasst. Nur so erklärt sich aber die Erläuterung von Tönnies, dass die Werkvertragsfirmen wegen des “Fachkräftemangels“ eingesetzt würden. 2008 lag der Anteil von Beschäftigten ohne deutschen Pass bei 13 Prozent. Ausgelagert an Werkvertragsfirmen sind in den Fleischunternehmen praktisch alle anfallenden Arbeiten: Schlachten, Zerlegen, Weiterverarbeitung zu Fleischprodukten, Verpackung, Kommissionierung, Reinigung und Transport.

Schuften für Niedriglöhne

Zu einem eventuellen Fachkräftemangel in der Fleischindustrie verweist die Bundesregierung 2019 auf 1.400 gemeldete offene Stellen gegenüber 1.800 Arbeitssuchenden in der Fleischwirtschaft (im Jahr 2018). Die Bundesregierung ergänzt: „Rekrutierungsschwierigkeiten müssen nicht zwingend mit einem zu geringen Arbeitskräfteangebot einhergehen, sondern können auch Folge von Arbeitsbedingungen sein.“ Die Hälfte aller Vollzeitbeschäftigten in der Fleischindustrie verdient weniger als 2.058 Euro brutto im Monat. Die beiden Eigentümer von Tönnies sind mit dem Geschäftsmodell reich geworden. Clemens und Robert Tönnies (Onkel und Neffe) gehören zu den 110 reichsten Personen in Deutschland mit einem Vermögen von jeweils knapp 2 Milliarden Euro. Eigentümer Clemens Tönnies war zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des Fussballvereins Schalke 04. Im Zuge des Corona-Skandals musste er zurücktreten. Neben der Nummer 1 Tönnies-Fleisch mit einem Umsatz von 6,7 Milliarden Euro gehört ihm ebenfalls der neuntgrößte deutsche Fleischkonzern, die Zur-Mühlengruppe, mit einem Umsatz von 820 Millionen Euro.

Billigfleisch für den Export

Die Hälfte der hergestellten Fleischwaren geht bei Tönnies in den Export. Hauptsächlich in die EU, zweitgrößter Absatzmarkt ist Asien, hier vor allem China, Japan und die Philippinen. Auch die Nummer 3 am deutschen Fleischmarkt Westfleisch exportiert fast die Hälfte seiner Produktion. „Wir importieren billige Arbeitskräfte aus Mittelosteuropa und exportieren dafür billiges Fleisch in alle Welt“, kommentiert das der zuständige NGG-Gewerkschafter Bernd Maiweg. Um dem öffentlichen Druck zu begegnen und die Ausbeutung osteuropäischer Werkvertragsbeschäftigter zu begrenzen wurde die Fleischindustrie 2014 ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen, damit tarifliche Mindestlöhne für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Damals gab es noch nicht den gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland. Die entsandten – oder scheinentsandten, d.h. dauerhaft in Deutschland tätigen – ausländischen Beschäftigten in der Fleischindustrie haben bis zur Einführung des Branchenmindestlohnes für den Mindestlohn des Entsendelandes gearbeitet. Die Aufnahme der Fleischindustrie ins Entsendegesetz wurde schon 2005 erfolglos im Bundestag diskutiert. Seit Einführung des Branchenmindestlohns ist laut DGB die Zahl der Entsendungen zurückgegangen, da das Modell nicht mehr so lukrativ ist. Der Branchenmindestlohn lag 2016 bei 8,75 Euro brutto pro Stunde. Für die Kontrolle der Einhaltung ist der Zoll zuständig.

Kaum noch Kontrollen

Im Januar 2017 berichtete die NGG von der Kündigung Schwangerer und nach Arbeitsunfällen verunglückter Beschäftigter bei den Subunternehmen sowie ungerechtfertigten Lohnabzügen und überhöhten Mieten in den vom Arbeitgeber gestellten Unterkünften. Auch würden Arbeitszeiten nicht korrekt abgerechnet und damit teilweise der Mindestlohn unterschritten. Ebenso wird von der Umgehung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall berichtet. Es gibt illegale Lohnabzüge für die benutzten Messer und Arbeitskleidung. Die Bezahlung von Umkleidezeiten und Zeiten für Wege im Betrieb werden von den Subunternehmen mit direkter Unterstützung von Tönnies verweigert. Der DGB schlussfolgert: „Arbeitgeber versuchen, sich hinter Werkvertragskonstruktionen zu verstecken, um die Geltendmachung berechtigter Interessen zu blockieren – und nicht selten gelingt ihnen das.“

Kontrollen der zuständigen Behörden finden selten statt. Für die Einhaltung des Mindestlohns ist der Zoll zuständig. Die Kontrollen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zoll fanden 2018 jedoch nur noch halb so oft statt wie 2012. In einigen Bundesländern sogar noch bedeutend seltener, siehe Tabelle:

Anzahl Betriebsprüfungen FKS

2012

2018

bundesweit

665

332

NRW

162

48

Bayern

105

53

Hessen

104

11

Mecklenburg-Vorpommern

39

1

Sachsen-Anhalt

31

6


Auch auf Eigeninitiative durchgeführte Kontrollen der Arbeitsschutzbehörden nahmen um mehr als die Hälfte ab. Besonders stark gefallen sind die Zahlen in den Bundesländern, die aktuell hunderte Corona-Infizierte in der Fleischindustrie vorweisen: In Nordrhein-Westfahlen etwa wurden fast vier von fünf Kontrollen, die auf Eigeninitiative durchgeführt wurden, eingestellt. 2008 waren es noch 17.212 Kontrollen, 2018 nur noch 3.565 gesunken.