Es ist Winter und wozu ein Kühlschrank?

Über die Macht der Jobcenter

Warum eigentlich Lebensmittel »aufgrund der Witterungsverhältnisse« vorübergehend nicht auf dem Balkon oder draußen lagern? Es ist doch Winter und wozu also ein Kühlschrank? Zu diesem »pragmatischen« Vorschlag kam ein Jobcenter im Ruhrgebiet, als eine Erwerbslose um ein zinsloses Darlehen, wohlgemerkt keine Sonderzahlung, für den Ersatz ihres kaputten Kühlschrankes bat.

Neben dem pragmatischen Hinweis gab das Jobcenter den Hinweis, dass ein neuer Kühlschrank aus dem Hartz-IV-Regelsatz angespart werden könne. Außerdem liege kein »unabweisbarer Bedarf« vor, ergänzt das Jobcenter. Ein »unabweisbarer Bedarf« liegt vor, wenn der Bedarf unaufschiebbar ist und nicht auf andere Art und Weise gedeckt werden kann. Dazu zählen auch Reparaturen oder eben eine andere Lösung, wie die zu kühlenden Lebensmittel auf dem Balkon zu lagern. Das Sozialgesetzbuch II sehe erst dann ein Darlehen vor, wenn nach Prüfung kein Einkommen, z.B. durch weitere Haushaltsmitglieder, vorhanden sei.

Das Ansparen auf einen neuen Kühlschrank ist praktisch unmöglich. Der jetzige monatliche Regelsatz bei einer alleinstehenden Person in Höhe von 449 Euro berücksichtigt. Fakt: 27,35 Euro für »Innenausstattung, Haushaltsgeräte- und Gegenstände sowie laufende Haushaltsführung«. Da sprechen wir uns dann im Jahr 2024 oder 2025 wieder, solange keine anderen Kosten dazwischenkommen.

Ungleiche Machtverhältnisse in den Jobcentern

Jeder Antrag im Jobcenter ist ein sogenannter »individueller Einzelfall« und muss entsprechend geprüft werden. Es sind also Ermessensentscheidungen der Sachbearbeitungen. Und hier komme ich zum eigentlichen Punkt. Zum Machtverhältnis in einem Jobcenter. Dass ein Bedarf vorlag, dürfte jede*r Leser*in klar sein. Winter hin oder her. Ein Kühlschrank zählt zur Grundausstattung. Und trotzdem gab es ein Nein. Ein Nein, weil es möglich ist. Die Gründe kennen wir nicht.

Es geht mir auch nicht speziell um den Kühlschrank. Ein Nein ist in vielen Fällen möglich. Sei es für relevante wichtige Qualifizierungen oder notwendige Ausbildungen, bei Umzügen aufgrund erhöhter Arbeitsmarktchancen oder für individuelle Eingliederungsleistungen. Die Entscheider*innen sitzen auf der anderen Seite des Schreibtisches eines Jobcenters. Sie werden diktiert vom »Fördern und Fordern« der jetzigen Hartz-IV-Gesetzgebung. Während die Übernahme der Regelleistung eine Muss-Bestimmung ist, sind Förderungen wie Qualifizierungen nur eine Kann-Bestimmung. Sie können, aber müssen nicht bewilligt werden. Gerade weil jeder »Vorgang« ein individueller Einzelfall ist, sollten die Mitarbeiter*innen in den Jobcentern den oder die Erwerbslose auch wie Individuen behandeln.

Stattdessen müssen sich die Erwerbslosen aber einer exekutiven Gewalt unterwerfen. Sie in den Jobcentern sind der Sachbearbeitung vollkommen ausgeliefert. Im »Vorgang« werden die Antragssteller*innen von menschlichen Individuen zu ausgelieferten Objekten. Es ist ein Machtverhältnis, das darauf baut, dass die oder der Leistungsberechtigte sich entweder unterwirft und damit die Bereitschaft erfüllt, die bestehenden Ungleichheiten der Verhältnisse nicht anzutasten. Denn nur wenige bringen die Kraft auf für die eigenen Rechte zu kämpfen. Und während für die einen dieser Kämpfe ums eigene Recht kräftezehrend ist, können die Jobcenter-Mitarbeiter*innen zumeist nicht verlieren. Auch nicht bei Fehlentscheidungen. Weder ihren Job, noch ihr internes Ansehen. Vielleicht gibt es einen Rüffel. Angehört und gegessen. Jedes Nein, insbesondere rechtswidrige Neins, verursachen wenige Minuten in den Jobcentern. Es sind Verwaltungsakte, die abgearbeitet werden. Der hellgraue Briefumschlag im Kasten der Erwerbslosen kosten jedoch Stunden im Gefühlschaos, dem Ausgeliefertsein und weitere mögliche Bürokratie, um der möglichen Rechtswidrigkeit entgegenzuwirken. Und für so manchen hat das Gefühl des Ausgeliefert sein, dann auch schlimmste psychische Folgen.

Koalitionsvertrag hebt Machtverhältnisse nicht auf

Es soll fortschrittlich klingen, wenn es im Koalitionsvertrag heißt: »Die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändern wir so, dass künftig eine Beratung auf Augenhöhe möglich ist und eine Vertrauensbeziehung entstehen kann«. Aus eigener Berufserfahrung kann ich sagen, das funktioniert nur, wenn die oder der Mitarbeiter*in auch als Mensch präsent ist – wenn die Menschenwürde als humanistische Verwendung ohne Wenn und Aber gegeben ist und auch vonseiten der Führungskräfte vorgelebt wird. Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, beginnt bei der eigenen Einstellung zum Gegenüber. Und ohne Augenhöhe, steigt die Gefahr, die Macht zu missbrauchen

Auch an den Einstellungen der Mitarbeiter*innen muss angesetzt werden. Allerdings ist es nicht nur eine Frage der Einstellungen. Die Sozialgesetzbücher geben oft unwürdiges Verhalten vor. Auch der Ampel-Koalitionsvertrag schließt diese und eine weitere Lücke nicht: Um Weiße Ware (Kühlschrank, Waschmaschine) muss weiterhin gebettelt werden. Weiterhin soll willkürliches Ermessen gelten statt verpflichtendes Recht.

Übrigens: Diese »Jobcenter-Problemlösung« ging via Twitter Ende Januar durch die Mitbegründerin Helena Steinhaus des Vereins Sanktionsfrei viral durch die Decke. Der neue Kühlschrank, wird jetzt, auf meine Rückfrage, über die Stiftung #EineSorgeWeniger (via Twitter @SorgeWenige[1]r), die sich ehrenamtlich für Armutsbetroffene engagiert, aus Spenden finanziert.

Links:

  1. https://twitter.com/sorgeweniger