Ampelkoalition: Soziale Kälte statt Würde

Eines muss man den Politikschaffenden unter der gläsernen Kuppel in Berlin ja lassen: Sie sind kreativ in der Erschaffung neuer blumiger Wörter. Erwerbslose in den Jobcentern dürfen nun im Rahmen einer Teilhabevereinbarung quasi an Angeboten und Maßnahmen teilhaben. Aber bitte nicht falsch verstehen: Eine Dividende gibt es dafür nicht. Diese ersetzt lediglich die Eingliederungsvereinbarung zwischen den Erwerbslosen und den Jobcentern. Aus dem Profiling, Ziele und Strategie wird ein Kompetenzfeststellungsverfahren, in dem wie zuvor auch im 4-PM-Verfahren die Stärken und Entwicklungsbedarfe nun nicht nur erfasst werden, sondern zertifizierbar sind. Von wem auch immer. Und ein Zertifikat, mit einem Jobcenter-Stempel, macht bestimmt einen guten Eindruck bei der/dem zukünftigen Arbeitgeber:in. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und ich gebe ja zu: Vermittlungsvorrang - das mir das noch nie selbst eingefallen ist. Der fällt nun erstmals weg. Also nix mit Leiharbeitsbude drängelt und raus aus der Qualifizierung oder Erziehungszeit und schuften. Das gefällt dieser Branche, die ja hauptsächlich die Jobbörse füllt, mit Sicherheit nicht. Mir dafür umso besser.

Die Suche nach der Würde

Nun wühle ich mich so durch die Absätze des neuen Hartz IV im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition - pardon des neuen „Bürgergeldes - und suche verzweifelt die „Würde des und der Einzelnen“ im Rahmen des Geldes, welches „zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen“ soll. Nein, ich werde nicht fündig. Der magere Hartz-IV-Satz bleibt so niedrig wie vorher, die Armut bleibt. Kein Extra für Erwerbslose. Und auch kein Extra für Menschen in der Grundsicherung, die ihre Alters- oder Erwerbsminderungsrente aufstocken müssen. Und ja, diese kommen noch weniger im Koalitionsvertrag vor als sonst wer. Oder soll ich besser sagen: Kein-Vertrag-für-Arme. Zwei kurze Abschnitte widmet man ihnen. Für die aktuellen Erwerbsminderungsrentner:innen möchte man immerhin Verbesserungen umsetzen. Dann gilt für alle in der Grundsicherung, die über ein Ehrenamt im gemeinnützigen, kirchlichen oder mildtätigen Bereich ihren kargen Satz aufstocken, dass sie zukünftig über einen jährlichen steuerlichen Freibetrag verfügen sollen. Dieser betrug 2021 840 Euro. Da der Koalitionsvertrag von „ausweiten“ spricht, könnten somit monatlich 70 Euro zusätzlich verdient werden. Die Betonung liegt im Konjunktiv. Mit präzisen Zahlen oder Ausformulierungen hat es der Koalitionsvertrag nicht so. Bisher gilt, dass eine Ehrenamts-und Übungsleiterpauschale bis zu monatlich 250 Euro unberücksichtigt bleiben. Grundsätzlich ist es aber so, dass 70 Prozent bis Minimum 50 Prozent des Einkommens auf die Grundsicherung angerechnet werden. Schließlich geht man ja gerade bei den Erwerbsgeminderten davon aus, dass diese nicht mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten können und dürfen. Sonst wären sie nicht voll erwerbsgemindert und somit nicht in der Grundsicherung, wenn die Erwerbsminderungsrente nicht ausreicht. Aber hier beißt sich oftmals die Katze in den Schwanz. Wegen mir auch der Hund: Erwerbsgeminderte Rentner:innen in der Grundsicherung haben möglicherweise eine lange chronische Krankengeschichte hinter sich. Dadurch folgten Zeiten mit längeren Arbeitsausfällen, Krankengeld oder Erwerbslosigkeit. Zeiten, in denen geringe Rentenansprüche „erarbeitet“ werden konnten. Ergo: Die Erwerbsminderungsrente ist zu niedrig. Der Gang zum Grundsicherungsamt bleibt in Folge unausweichlich.

Arm bleiben sie alle

Armutsrentner:innen haben oftmals vorher geschuftet: Erziehungszeit, harte Arbeit im Niedriglohnsektor oder Pflege von Angehörigen. Oder einfach keine Chance mehr erhalten, nach einer Erwerbslosigkeit ihre Fähigkeiten und Kompetenzen unter Beweis zu stellen. Oder, oder, oder. Das Leben verläuft nicht immer gradlinig. Der Markt ist hart. Die Arbeitgeber:innen sind sogar manchmal noch härter. Und die Grundsicherung als Dank ist dann das härteste. Und wer dann noch die Kraft hat nebenbei zu arbeiten, so mit 70+, der darf dann noch 70 Euro plus neben dem Ehrenamt dazu verdienen. So ganz frei. So ganz ohne Abzüge. Und so ganz in Würde, damit auch die gesellschaftliche Teilhabe funktioniert. Nur eines hat nicht geklappt: Christian Lindner (FDP) sagte, die drei Parteien hätten ihre Unterschiedlichkeiten in Wahlkämpfen nicht verborgen, aber in einem Punkt seien sie sich einig: „nämlich den Status quo zu überwinden". Doch was die Regelsätze in den Sozialleistungen betrifft, bleibt der Status quo so wie er ist. Soziale Kälte statt Würde.