Kolumne

Solidarität ist kein Schnäppchen vom Grabbeltisch!

Inge Hannemann ist eine der bekanntesten Kritiker:innen des Hartz-IV-Systems. In ihrer neuen Kolumne für "Links bewegt" schreibt sie regelmäßig zu sozialpolitischen Themen.

Die Regierung beschloss Mitte Januar, dass in öffentlichen Verkehrsmitteln und im Einzelhandel verpflichtend FFP2-Masken – alternativ OP Masken – zu tragen sind. Das führte erneut zu Diskussionen, wie Leistungsberechtigte in den Grundsicherungen (Hartz IV, Grundsicherung SGB XII, Asylbewerberleistungsgesetz) diese bezahlen sollen. Bis dato, auch nach über einem Jahr Corona-Pandemie, wurden diese Gruppen schlichtweg ignoriert. Anträge für Corona-Zuschüsse oder einen zumindest zeitweiligen erhöhten Regelsatz durch DIE LINKE für diese Menschen wurden im Bundestag von der Großen Koalition in den Debatten mit fadenscheinigen Begründungen weggewischt. Plötzlich klingt es jedoch fürsorglich anders.

Der Schutz vor Corona darf aber keine Frage des Geldbeutels sein, deshalb ist es richtig und notwendig, jetzt zügig einen Zuschuss für coronabedingte Belastung für Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung in den verschiedenen Grundsicherungssystemen zur Verfügung zu stellen. Auch die Versorgung von Grundsicherung-Empfänger mit medizinischen Masken muss gesichert sein. Hierfür tragen Bund und Länder Verantwortung“, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am 22. Januar

Zehn Masken pro Person sollen reichen

Geschenkt: Einen Coupon für einmalig zehn Masken bekam nun jede:r, der sich in einer Art Grundsicherung befand. Dieser Coupon konnte dann ohne Zuzahlung in einer Apotheke eingelöst werden. Diese Hilfe ist schon so rar und einmalig, dass sich die Große Koalition dafür feierte, als hätte sie einen Olympiasieg errungen. Ganz anders sah es jedoch das Sozialgericht Karlsruhe in seinem neuesten Urteil (Az. S12 AS 213/21 ER) vom 12. Februar. Es entschied, dass das hiesige Jobcenter bis zum Sommeranfang „zusätzlich zum Hartz-IV-Regelsatz entweder als Sachleistung wöchentlich 20 FFP2-Masken verschicken oder als Geldleistung monatlich weitere 129 Euro“ zu zahlen habe.

Brisantes Urteil setzt Bundesregierung unter Druck

Die Begründung hat es in sich. Ohne Mund-Nasen-Bedeckung sei das Grundrecht auf soziale Teilhabe unverhältnismäßig beschränkt. Auf einfache OP-Masken müssten man sich nicht verweisen lassen, da sie für den Infektionsschutz vor Corona – auch angesichts der Virusvarianten – nicht genug geeignet seien. „Wer bei der Verrichtung alltäglicher Erledigungen trotzdem lediglich eine OP-Maske gebrauche und einen Mitmenschen mit dem lebensgefährlichen Virus anstecke, schädige eine andere Person an der Gesundheit und verstoße gegen das gesetzliche Verbot gefährlicher Körperverletzung“, so das Argument des Gerichts. Das sitzt. Auch wenn dieses Urteil nur für den Kläger rechtskräftig ist, hat es eine Signalwirkung und ist mit der Pressemitteilung des Sozialgerichts auch so gewollt.

Von Armut Betroffene im Ranking ganz hinten

Die Bundesregierung sollte nun das Urteil zum Anlass nehmen, um allen Leistungsberechtigten in den Grundsicherungen und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eine adäquate Summe für eine ausreichende Anzahl von Masken monatlich zur Verfügung zu stellen. Seit nun mehr als 15 Jahren müssen sich bundesweit Sozialgerichte bis hin zum Bundessozialgericht bemühen, Leistungsberechtigten zu ihrem Recht zu verhelfen. Die derzeitige Corona-Pandemie und das Bundessozialministerium, unter der Leitung von Hubertus Heil (SPD), offenbaren schonungslos, dass von Armut Betroffene im Ranking nicht nur ganz hinten stehen, sondern offen ignoriert werden. Da reichen auch die Trostpflästerchen von zehn FFP2-Masken und die 150 Euro Einmalzahlung nicht aus.

Solidarität und regierungspolitische Verantwortung ist keine Einbahnstraße oder ein Schlussverkauf, in dem einmalig Schnäppchen auf dem Grabbeltisch verteilt werden. Schließlich ist unser Sozialstaatsprinzip absolut und dauerhaft im Grundgesetz verankert. Das gilt und sollte auch gerade dann in Pandemiezeiten gelten. Im Sinne von Willy Brandt: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“, würde es dem Bundesminister für Arbeit und Soziales gut zu Gesicht stehen, wenn er „mehr Soziales“ wagte.