Debatte

Träume von gestern

Trautes Heim - Glück allein?

Die Grünen wollen angeblich den Bau von Eigenheimen verbieten. Zwar hat Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ein solches Verbot gar nicht gefordert. Er hatte lediglich die Entscheidung eines Hamburger Bezirks begrüßt, wonach keine Einfamilienhäuser in Bebauungsplänen mehr vorgesehen sind. Doch die Debatte ist voll entbrannt. Auch in der LINKEN gibt es Diskussionen, nachdem sich der Parteivorsitzende Bernd Riexinger hinter Hofreiter gestellt hatte. Der Stadtplaner Hans-Günther Bell rät der LINKEN, für sicheres und zeitgemäßes Wohnen zu werben:

Natürlich ist es sinnvoll, über den Flächenverbrauch in der Bundesrepublik und über die Wohnsituation der arbeitenden Klassen zu diskutieren. Darum soll es hier gehen. Kurz zur Erinnerung: Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion hat in einem “Spiegel“-Interview auf die Frage, ob die Grünen die eigenen vier Wände verbieten wollen, zunächst auf die dramatische Wohnungsnot und die Endlichkeit des Bodens hingewiesen und dann ergänzt: „Natürlich wollen die Grünen nicht die eigenen vier Wände verbieten. Die können übrigens sehr verschieden aussehen: Einfamilienhaus, Reihenhaus, Mehrfamilienhaus, Mietshaus. Wo was steht, entscheidet allerdings nicht der Einzelne, sondern die Kommune vor Ort.“ Aus der LINKEN gab es zu dieser Äußerung Zustimmung. Man müsse den Flächenverbrauch reduzieren und Grundstücke so bebauen, dass mehr Wohnungen entstünden, so Bernd Riexinger. Der Parlamentarische Geschäftsführer der LINKEN im Bundestag, Jan Korte, interpretierte das als Absage an den Bau von Eigenheimen und meldete sich in einem Beitrag für das "nd" zu Wort: Die kleinen Träume

Ein Weiter-so darf es nicht geben

Zu den Träumen vieler Menschen gehörten über Jahrzehnte das eigene Haus, das eigene Auto und die Reise in den Süden. Für viele gingen diese Träume in Erfüllung. Manchmal geraten Träume aber in Konflikt mit anderen Träumen: Menschen wollen gesund sein, sie wollen in einer intakten Umwelt leben und sie wollen für ihre Kinder, eine gute Zukunft. Diese Träume sind durch den heute schon spürbaren Klimawandel bedroht. Deshalb sind Richtungsentscheidungen erforderlich. Wir müssen uns von manchen Träumen von gestern verabschieden, um für das Morgen gerüstet zu sein. Ein Weiter-so kann es nicht geben, auch nicht in der Siedlungsentwicklung und im Wohnungsbau. Glaubt Jan Korte wirklich, dass Arbeiter (die ich hier um die Arbeiterinnen ergänzen möchte) die Augen vor dem Klimawandel verschließen? Reden Linke tatsächlich an den arbeitenden Klassen vorbei, wenn sie ihnen nahelegen, „ihre kleinen Träume“ von den eigenen vier Wänden in zukunftsfähiger, also möglichst nachhaltiger Bauweise zu verwirklichen?

In vielen Regionen stehen Häuser leer

Zweite Anmerkung. Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist stark differenziert. Während in den Schwarmstädten Wohnraum knapp und teuer ist, stehen in vielen schrumpfenden Städten und ländlichen Regionen Häuser leer. Diejenigen, die an der falschen Stelle ein Haus gekauft oder geerbt haben, erleben oftmals herbe Wertverluste. Kurzarbeit oder Einkommensarmut erschweren ihnen zudem, die aufgenommenen Kredite abzuzahlen. Für erforderliche Reparaturen und den neuen Heizkessel fehlt das Geld. Ja, diese Familien haben Probleme, aber sie haben nicht das Problem, dass keine neuen Einfamilienhausgebiete mehr ausgewiesen werden sollen. Sie bedrückt die fehlende ökonomische und soziale Sicherheit. Und DIE LINKE hat die realen Alltagsprobleme der arbeitenden Klassen wiederholt in den Mittelpunkt von Kampagnen gestellt. Jüngst die Kampagnen für einen Mietendeckel oder für 500 Euro mehr Grundgehalt für alle in der Pflege. Das sollte dem 1. Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion DIE LINKE bekannt sein.

Dorfkerne veröden, ringsherum wird gebaut

Dritte Anmerkung. Nicht nur aus „großstädtischer Linkenperspektive“ haben neue Einfamilienhausgebiete rund um die Städte und Dörfer keine Zukunft mehr. Anders als von Korte behauptet, sind viele Dorfkerne gerade deshalb ausgestorben, weil rund um die Dörfer Eigenheimbaugebiete ausgewiesen worden sind. Während die Mitte zerfällt, wuchert außen ein Ring aus Neubaugebieten. Ein Phänomen, das mit dem Begriff „Donut-Dörfer“ zutreffend illustriert wird. Selbst in Köln kann die Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern aus dem Bestand gedeckt werden. Grund hierfür ist der Generationenwechsel. In wachsendem Maße werden Einfamilienhäuser der heute etwa 80-Jährigen in Köln auf den Markt kommen. Wenn in diesen Beständen der Generationswechsel hin zu jungen Familien gelingt, reicht der heutige Einfamilienhausbestand weitgehend aus. Erst Recht ist in ländlichen Regionen mit viel Leerstand grundsätzlich kein Neubau von Ein- und Zweifamilienhäuser mehr erforderlich. Hier geht es vielmehr um die Renovierung, die energetische Ertüchtigung und den barrierefreien Umbau des Bestands. Um dies auch Familien mit durchschnittlichen Einkommen zu ermöglichen, sind Förderprogramme zur energetischen Sanierung, zur Reduzierung von Barrieren und zum altengerechten Umbau hin zu überprüfen und anzupassen.

Jan Korte argumentiert also an der Sache vorbei. Der berechtigte Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit steht in keinem Widerspruch zu ökologisch erforderlichen Flächeneinsparung. DIE LINKE ist gut beraten, sich diesen angeblichen Widerspruch zwischen dem Sozialen und dem Ökologischen nicht einreden zu lassen. Wir sollten für die Sicherstellung des Rechts auf Wohnen in zeitgemäßen Formen werben. Für gutes Wohnen in Stadt und Land, zu den je ortsangemessenen Bedingungen.

Dr. Hans-Günter Bell ist Stadtplaner und Fraktionsgeschäftsführer DIE LINKE Köln