Kein Kinderspiel! Familien fühlen sich in der Krise alleingelassen

Kinder und Eltern sind mit den Nerven am Ende

Seit Wochen und Monaten fühlen sich Eltern mit Kindern im Stich gelassen. Besonders hart trifft es die Kinder. Ihnen fehlt der gewohnte Alltag in Krippe und Schule, die soziale Interaktion, das gemeinsame Spielen und Lernen, das miteinander wachsen. Krippen, Kindergärten und Schulen sind Begegnungsstätten und Räume, um sich zu entwickeln und zu reifen. All diese Einrichtungen erfüllen neben der Betreuung, vor allem auch die Funktion eines Dreh -und Angelpunkts, wenn es darum geht durch vielfältige Kontakte mit anderen Kindern und Betreuungspersonen das eigene „Ich“ wahrzunehmen, zu lernen und seine Persönlichkeit weiter zu entfalten. Der essentiellen Bedeutung von Krippe, Kindergarten und Schule kann man also im Grunde kaum genug Bedeutung beimessen.

Es geht nicht darum, irgendwelche Maßnahmen in Frage zu stellen, sondern es geht schlicht und ergreifend darum, dass Eltern mehr oder weniger im Stich gelassen werden, wenn es um die Bewältigung des Pandemie-Alltags geht. Eine leidliche Diskussion jagt die nächste. Landauf, landab - unterm Strich passiert in den Schulen dennoch schlicht und ergreifend nichts, was man als Hygienekonzept bezeichnen könnte. Weder Luftfilter werden eingebaut, noch Plexiglastrennwände verbaut, noch versucht man, zumindest einen Teil der Schüler in andere Gebäude innerhalb der Kommune zu verlegen, um kleinste und feste Gruppen zu bilden, wahlweise im Wechselunterricht o.ä. Die Option zumindest kurzzeitig auch mal eine Schulstunde draußen abzuhalten, wurde letztes Jahr nicht einmal diskutiert, auch nicht, als wir wochenlang trockenes, warmes Wetter bei Sonnenschein und blauem Himmel hatten.

Einfamilienhaus oder Etagenwohnung – der Lockdown trifft arme Kinder härter

Die meisten Kinder haben seit Wochen keine anderen Menschen außerhalb ihrer Familie gesehen, sitzen daheim mehr oder weniger fest. Und hier beginnt die Tragik erst, denn viele von ihnen erleben familiäre Gewalt und Vernachlässigung. Während Kinder, die in einem Einfamilienhaus mit Garten aufwachsen, wenigstens mal draußen spielen können, versauern Kinder in kleinen Etagenwohnungen zu oft und haben kaum oder nur wenig Möglichkeiten sich auch mal kindgerecht auszutoben. Viele Eltern haben den Kopf voll drängender Sorgen. Angst vor dem Verlust ihrer Arbeit, ihrer Wohnung, drohende Kurzarbeit oder Insolvenz und natürlich nicht zuletzt die ewige Sorge um die Gesundheit der Angehörigen, kostet Kraft. Jeden Tag auf’s Neue! Auch die Qualität der Belastung für Eltern im Homeoffice steigt zunehmend. War es zu der Beginn der Krise „nur“ nötig, mit den Kindern ein Arbeitsblatt zur Stoffwiederholung durchzuarbeiten, so wird mittlerweile erwartet, dass sie völlig neuen Lernstoff vermitteln und mit dem Kind erarbeiten. Selbstverständlich neben all den anderen Dingen, die sich in einem 24 Stunden Zuhause-Alltag-mit Kindern so auftürmen, was u.a. die Erledigung von Haushaltsarbeiten und im Idealfall das Zubereiten einer gesunden Mahlzeit beinhaltet. Mit Kindergarten - und Krippenkindern ein endloser Marathon und die Hoffnung seine eigene Homeoffice-Arbeit noch am Abend, wenn die Kleinen endlich schlafen, erledigen zu können, zerschlagen sich meist just in dem Moment, in dem einem vor Erschöpfung die Augen zufallen.

Viele Eltern sind erschöpft und ausgelaugt

In vielen Familien können die Eltern nicht mal ins „Homeoffice“. Wer auf Schicht gehen muss z.B. in einem Industriebetrieb oder in der Pflege, der muss den Spagat zwischen Kindern und Beruf täglich aufs Neue meistern. Die meisten Eltern sind erschöpft, ausgelaugt und frustriert. Man erlebt, wie die eigenen Kinder einem leidtun, wenn man sich dabei ertappt, dass man sie, um doch mal selbst was erledigen zu können, zu lange vor dem Fernseher sitzen lässt, oder beim Daddeln auf einer Konsole zu oft zwei Augen zudrückt. Schon jetzt schlagen Kinderärzte -und Psychologen Alarm. Der Medienkonsum unserer Kinder ist nochmal erheblich gestiegen und die Begleiterscheinungen von mangelnder Bewegung, wie Übergewicht, nehmen ebenfalls zu. Auch um die psychische Gesundheit ist es nicht gut bestellt, denn viel zu viele Kinder klagen über Einsamkeit und zeigen psychische Auffälligkeiten oder gar Erkrankungen.

Kosten für das Homeschooling werden auf Eltern abgewälzt

Doch nicht nur die alltäglichen Belastungen machen den Eltern zu schaffen, auch die anhaltenden Kosten für das Homeschooling werden auf sie abgewälzt. Teure Druckerpatronen und Unmengen von Kopierpapier schröpfen die Haushaltskasse. Viele ohnehin überteuerte Busfahrkarten-Abos laufen weiter, auch weil durch die Salamitaktik in Sachen Lockdown und den daraus folgenden Schulschließungen keine Planungssicherheit gegeben war. Des Weiteren hat längst nicht jeder ein Druckgerät daheim und von Beginn an wurde erst einmal mit einem Selbstverständnis davon ausgegangen, dass jeder Schüler und jede Schülerin zuhause ein voll ausgestattetes Büro auf dem neusten Stand der Technik vorfindet. Dass dem nicht so ist, konnten dann viele Lehrer und Lehrerinnen schnell feststellen. Viele warfen ihren Schülern die Ausdrucke dann in die Briefkästen, um ihnen das benötigte Material zukommen zu lassen. Noch immer verfügen eben nicht alle Menschen über einen kostspieligen Internetzugang, weil sie ihn sich schlicht nicht leisten können, demzufolge dann natürlich auch nicht über ein dazugehöriges Endgerät. Und selbst wenn ein Gerät vorhanden ist, stellt sich bei Familien mit mehreren Kindern permanent die Frage, wer denn wann und wie lange das Gerät nutzen kann, neben Mama oder Papa wohlgemerkt! Ein täglicher Drahtseilakt.

Wer glaubt, Eltern jammern auf einem hohen Niveau, der muss sich mal auf der Zunge zergehen lassen, dass mit drei Schulkindern pro Woche schnell 50-70 Ausdrucke zusammenkommen können. Und wer schon einmal mit einem bockigen Erstklässler am Küchentisch gesessen hat, der sich an manchen Tagen auch mit Engelszungen nicht dazu bewegen lässt, das Xte Arbeitsblatt auszufüllen, während der Blick gehetzt zur Uhr schweift, weil gleich der erste den Kopf zur Tür reinstecken wird, um zu fragen, was es zum Mittagessen gibt, der weiß, wie fordernd der Lern -und Berufsalltag zuhause ist und was er den Eltern und erst recht den Alleinerziehenden abverlangt. Viel zu oft müssen dann eben auch doch die Großeltern, die ja zur besonders sensiblen Risikogruppe gehören, für die Betreuung des Nachwuchses herangezogen werden, weil es anders gar nicht möglich ist.

Das Schulessen fällt weg

Das tägliche Mittagessen wird oft zeitversetzt eingenommen. Meistens hat jeder zur einer anderen Zeit eine Videokonferenz, auch das ein täglicher Eiertanz. Viele Kinder haben sogar keine geregelten Mahlzeiten mehr, die sie vorher in der Schule einnehmen konnten. Und jetzt haben wir noch nicht einmal über die Problematik der dringend benötigten Bewegung trotz Dauerregens, oder über das Gefühl des „Budenkollers“ im Allgemeinen gesprochen. Das kommt an Belastungen alles noch obendrauf. Es ist eher die Regel, denn die Ausnahme, dass der Tag dann nach 22 Uhr endet, bevor am frühen Morgen alles wieder von vorne losgeht. Und täglich grüßt das Murmeltier! Wie unterschiedlich die Kinder aus dieser Krise kommen, hat nach wie vor viel zu oft mit dem persönlichen Engagement des zuständigen Lehrers oder der zuständigen Lehrerin zu tun. Es gibt viele, die bemühen sich, versuchen die Kinder Zuhause zu erreichen, auf verschiedenen Wegen, fragen nach, haken nach und kümmern sich. Aber und das ist leider die bittere Wahrheit: Viele tun es eben auch nicht! Hier finden die betroffenen Kinder also völlig unterschiedliche Bedingungen vor. Manche meinen auch ein lustiger Smiley auf dem 10. Arbeitsblatt ersetze dann die Stoffvermittlung gegebenenfalls.

Konzepte für das Homeschooling? Fehlanzeige!

Aber selbst die motivierteste Lehrkraft scheitert spätestens dann, wenn die Online-Schulplattform wieder einmal streikt, kollabiert oder gehackt wird. Die Kommunikation via Videokonferenz mit Kindern im Grundschulalter gestaltet sich mehr als schwierig, wenn die Tonqualität klingt, als säße man auf dem Mond in einer Konservendose. Im ungünstigsten Fall gibt es ein Echo in Endlosschleife, bevor die Verbindung schließlich gänzlich zusammenbricht.

Seit Monaten war abzusehen, dass die Gefahr eines andauernden Heimunterrichts drohte und es wurde nur wenig unternommen, um die Schulen fit für eine Art „Online-Unterricht“ zu machen. Auch wenn vielerorts nun endlich nach einem halben Jahr Endgeräte für eine Ausleihe zur Verfügung stehen, nützt das den Kindern im Grunde nichts, wenn sich das Arbeiten und Kommunizieren damit derart dürftig gestaltet. Die Schulen, schon vor der Pandemie kaputtgespart, im Dauerstress. Konzepte für die kommenden Monate? Nicht in Sicht. Dabei ist uns doch inzwischen klargeworden: Die herbeigesehnte Erlösung durch die Verfügbarkeit eines Impfstoffs, wird uns zunächst nicht in dem benötigten Maß zuteilwerden.

Also? Wie soll es für die Kinder in unserer Gesellschaft weitergehen? Warum nimmt man nicht den Druck aus den Elternhäusern und bewertet zumindest bei den Jüngsten das Halbjahr einfach mal gar nicht und alle fangen zu gegebenem Zeitpunkt wieder am gleichen Punkt an? Die Familien sind mehr als genug belastet. Und „danach“? Nach der Pandemie -wann immer das sein wird- , sollen dann alle Kinder auf dem gleichen Lernstand sein, nur, weil sie alle dieselben Arbeitsblätter bekommen haben? Eine Utopie! Hier darf man sich nichts vormachen.

Kinder und Eltern brauchen eine Perspektive!

Selbstverständlich muss die Bekämpfung und Eindämmung des Virus im Mittelpunkt stehen, aber dennoch muss doch die Frage nach möglichst schonenden Konzepten für die Kinder und Familien gestellt werden. Nach wie vor besteht keine „Homeoffice-Pflicht“ seitens der Arbeitgeber, noch immer müssen täglich tausende Menschen zur Arbeit fahren und wenngleich die Kinder seit unzähligen Wochen daheim sind, reißen die hohen Infektionszahlen in den Alten -und Pflegeheimen nicht ab.

Auch nach Monaten der Expertisen ist es der Regierung nicht gelungen, die sensibelsten Einrichtungen in unserer Gesellschaft mit den vielen älteren und schwachen Menschen wirkungsvoll zu schützen. Wir alle leiden unter den Folgen dieser Krise, ganze Berufszweige stehen vor dem Ruin und Existenzen sind zerstört.

In besonderem Maße leiden auch die Kinder. Einige von ihnen feiern in Kürze ihren zweiten Geburtstag im Lockdown. Inzwischen hat sich manches Entwicklungsfenster unwiederbringlich geschlossen. Es geht um die Zukunft einer ganzen Generation, die schon jetzt laut Experten, Einkommenseinbußen in ihrem späteren Leben haben wird, in Folge dieser Pandemie. Wir brauchen endlich kluge Konzepte und Investitionen in Sicherheitsmaßnahmen für die Schulen, damit unseren Kindern nicht noch mehr Konsequenzen in der Zukunft drohen. Die vielbeschworene Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit, die ohnehin auch schon in Zeiten vor der Pandemie vielfach schlichtweg nicht gegeben war, droht uns nun endgültig gänzlich abhanden zu kommen.

Die Familien brauchen eine Perspektive für die kommenden Wochen und müssen finanziell unterstützt und entlastet werden, denn sie leisten jeden Tag einen Kraftakt.

Katja Richter ist Kommissarische Kreisschriftführerin des KV Merzig-Wadern der LINKEN und stellvertretende Vorsitzende und Schriftführerin der BO Düppenweiler.