Mit Bernie an Thüringens Türen

Wer Wähler*innen erreichen will, muss auch mit ihnen reden.

Nein, Bernie Sanders lebt nicht in Thüringen. Alexandria Ocasio-Cortez ist aus New York, nicht aus Erfurt, Weimar oder Jena. Nach den US-Wahlen im November 2020 sagten beide, dass der Erfolg der Demokratischen Partei und von Joe Biden ohne „Grassrooting“ und „Organizing“ nicht möglich gewesen wäre. „Die Wahl von Biden hat die politischen Bedingungen zur Verbesserung der Lebensumstände von Millionen Amerikaner:innen erleichtert!“, sagte Bernie Sanders kurz nach den ersten Auszählungen. Er bedankte sich ausdrücklich bei den Wahlkämpfer*innen für die Arbeit an der Basis der Wähler*innen, das Klopfen an den Haustüren (Housedoorknocking) und die unzähligen Telefonanrufe bei potentiellen Wähler:*nnen (Phoning). Ohne diese und weitere Aktivitäten gemeinsam mit den Menschen im Wahlkampf wäre der Vorsprung von Biden nicht möglich gewesen.

Organzing? Machen wir hier schon seit Jahren!

Schon vor Jahren formierte sich in den USA für alle sichtbar eine neue Bewegung für soziale Veränderung. Im September 2014 zogen mehr als 400.000 Menschen durch New York und forderten entschlossenes Handeln zur Bekämpfung der Klimakrise, angeführt von Arbeitslosen, Indigenen und anderen People of Colour. Der Hashtag #BlackLivesMatter führte bereits vor der Tötung George Floyds am 25. Mai 2020 durch einen weißen Polizisten zu Demonstrationen gegen Polizeiwillkür. Niedriglohnempfänger*innen begannen, sich zu organisieren, Mindestlohn wurde gefordert. In düsteren Zeiten war das ein Schimmer der Hoffnung, auch durch geduldiges Organizing erreicht. Und eben diese Methode, das von Bernie Sanders weiter geforderte geduldige „Grassrooting“, das „Housedoorknocking“, das „mit den Leuten reden“ wurde erfolgreich von den LINKEN in Thüringen in den Wahlkämpfen und Auseinandersetzungen nach 1990 angewandt. Nicht immer konsequent, nicht immer perfekt – und nicht immer so genannt. Aber trotzdem: Nähe.Vertrauen.Hoffnung. Das ist der lange, oft mühsame Thüringer Weg des Erfolgs. Von 9,7 Prozent im Jahr 1990 auf 31 Prozent 2019.

Wahlkampf zwischen Supermarktregalen

Eisenach im Frühjahr 2018: Die LINKE Katja Wolf muss Oberbürgermeisterin bleiben. Die vergangenen sechs Jahre mit ihr an der Spitze dieser Stadt im Westen Thüringen lohnten sich für die 42.000 Einwohner:innen. Über 47 Prozent wählten sie darum bereits im ersten Wahlgang. Der CDU-Bewerber verlor dramatisch über 20 Prozent, ein SPD-Kandidat erreichte 19,3 Prozent. Die Rechtsradikalen von der AfD erzielten über 15 Prozent. Die Stichwahl mußte sein, da niemand unter den Kandidierenden mehr als 50 Prozent der Stimmen erzielte. Während ihr Gegenkandidat mit einer Plakatschwemme um Stimmen buhlte, entschied sich Katja Wolf für einen anderen Weg. Sie war die Oberbürgermeisterin zum Anfassen. Sie ging – wie immer – täglich einkaufen und sprach zwischen Supermarktregalen und an der Kasse mit den Menschen ihrer Stadt. Sie fuhr mit dem Linienbus und redete während der Fahrt mit den anderen Fahrgästen. Sie klingelte an über 2.000 Haustüren Eisenachs, einer Stadt mit 27.000 Haushalten. Sie warb im Gespräch für ihre Politik. Sie nahm Forderungen, Anregungen und Vorschläge für die weitere Arbeit auf.

Das Gespräch suchen, auch mit der Verkäuferin

Zwischen zwei Haustüren traf sie in einer Bäckereifiliale auf eine Verkäuferin. „Einen Kaffee? Gern. Mit oder ohne Milch?“ Die Bäckereiverkäuferin freute sich, ihre Oberbürgermeisterin so zwanglos zu treffen und versprach sie zu wählen – „...aber Frau Wolf, diese Flüchtlinge...“ Die Kollegin berichtete aus ihrem Alltag: Täglich Überstunden, ohne diese bezahlt zu bekommen. Eine kleine Wohnung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, ganz nett. Allerdings würden im gleichen Haus jetzt drei von den (damals) rund 3.000 Menschen ausländischer Herkunft in Eisenach wohnen. Die Kollegin, die für einen völlig unzureichenden Mindestlohn aus Angst um den Arbeitsplatz jeden Tag unbezahlt schuftete, erlebte nun unmittelbarer Nachbarschaft eine Gruppe von Menschen mit „fremdartiger Geselligkeit“. Sie konnten sich trotz der vielen Freizeit - sie durften nicht arbeiten - Konsumwünsche erfüllen: „Gerade neulich haben sie sich so einen schicken Flachbildfernseher gekauft. Ich hab ́ immer noch meinen ollen Luxotron aus der DDR...“

Zuhören und Lösungen anbieten

Katja Wolf hörte zu. Sie empfahl dringend die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, um gemeinsam und auch juristisch unterstützt, die skandalöse Bezahlung anzugehen. In der Flücht-lingspolitik sei manche übereilte Entscheidung zu überdenken, so die Oberbürgermeisterin weiter. Doch das gemeinsame Leben mit Menschen aus allen Ländern der Erde sei zu lernen - und bei den Zuständen in den Herkunftsländern der Geflüchteten auch nicht zu ändern. Die Stadt werde ihre Bemühungen hier weiter entwickeln. Die Oberbürgermeisterin blieb ihrer Grundposition treu: Geflüchtete Menschen sind auch in Zukunft in Eisenach willkommen. Ihnen wird hier geholfen. Und sie versprach, sich um Konzepte zu kümmern, die das Zusammenleben der Menschen aus verschiedenen Nationen zu einem manchmal mühseligen, aber bereicherndem Erleben werden lassen können. Das gehört zur DNA linker Politik. Anderes wird linken Politiker*innen auch nicht geglaubt: „Na klar, ich wähle Sie! Tschüß, Frau Wolf!“

Die Bäckereifachverkäuferin war mit ihrer Entscheidung für Katja Wolf in Eisenach am 14. April 2018 nicht allein. 58 Prozent der Wähler*innen stimmten in der Stichwahl für sie, der Mitbewerber schaffte 42 Prozent. Auch dieser Erfolg war Grund genug, für das organisierte Gespräch, für das Organizing, den Haustürwahlkampf unter den Abgeordnet*innen der Linksfraktion im Thüringer Landtag zu werben. Ganz im Sinne von Dieter Strützel, der der Partei und ihren Amts- und Mandatsträger*innen bereits 1997 die Aufgabe stellte, für die Menschen Eingriffs-, Mitbestim- mungs- und Handlungsmöglichkeiten zu schaffen, damit unsere Nachbar*innen und Kolleg*innen ihr Leben so gestalten können, wie sie möchten. Damit Demokrat*innen nachwachsen.

Ende Teil 1. Im zweiten Teil wird es ernst: Wir sind unterwegs in Thüringens Städten, um für unsere Kandidat*innen und unsere Politik zu werben.