Überlebenskampf in Niedersachsen

Angst ist ein ständiger Begleiter für die Prostituierten in ihren Wohnmobilen
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Milena sagt: Ich wurde nach Deutschland gelockt und eingesperrt.

Rita sagt: Ich will Familie.

Uschi sagt: Das Wohnmobil kostet 70 Euro pro Tag.

„Lovemobil“ heißt der Film mit diesen drei Protagonistinnen. Es ist der erste Film der Regisseurin Elke Margarete Lehrenkrauss. Sie stammt aus Gifhorn in Niedersachsen, das liegt im Einzugsgebiet des VW-Werks in Wolfsburg. Wer dort unterwegs ist, wird auf den Bundesstraßen die ramponierten Wohnwagen und Wohnmobile mit schummriger Beleuchtung bemerkt haben. Sie dienen als Orte der Prostitution. Morgens fährt Uschi die Frauen zu den Plätzen der Sexarbeit, tagsüber kontrolliert sie ein paar Mal, ob das Geschäft läuft und sie die Miete von täglich 70 Euro mitnehmen kann, hin und wieder schaut ein Kunde rein. Drumherum verlassener Wald, eine bedrohliche Kulisse.

Kunde ist so ein Wort. Die Frauen verkaufen hier – unfreiwillig freiwillig – auf offener Strecke ihren Körper. Sehnen sich nach Kundschaft und hassen sie. Andere Einkommensquellen kommen erstmal nicht infrage: Milena kommt aus Bulgarien, spricht nicht gut Deutsch und versucht Geld zu verdienen, um ihrem Bruder zu helfen. Ein glückliches Leben hatte sie bisher nicht. Sie erzählt, wie sie nach Deutschland mehr oder weniger entführt und brutal ins Geschäft eingeführt wurde. Ria bezahlte 800 Dollar für eine Passage nach Europa, landete hier auf dem Waldstrich. In Nigeria, ihrem Heimatland, sagt sie, sei es noch prekärer. Sie träumt davon, einmal eine Familie zu haben.

Und Uschi? Die gibt hier die Puffmutter, ist die härteste von allen. Ihr Leben lang war sie Prostituierte, erst Hamburg, dann Wiesbaden. Unglücklich verheiratet sei sie gewesen, der Mann habe sie im Ehebett mit einer anderen betrogen. Nun, im Alter, habe sie sich aufs Vermieten der alten Wohnmobile verlegt. Die Nächte an der Bundesstraße sind extrem gefährlich, davon wissen Rita und Milena zu berichten. Erst neulich sei eine Kollegin erstochen worden. Die Lage macht‘s möglich: Die Freier fühlen sich unkontrolliert, glauben, die Frauen für wenig Geld in Besitz nehmen, über sie verfügen zu können.

Lehrenkrauss sagt, sie habe drei Jahre mit den Frauen gedreht. „Lovemobil“ neigt an manchen Stellen zur Ästhetisierung, gibt dem schwach leuchtenden Ambiente eine romantisch-verruchte Note. Bei einem anderen Film würde man das eine gelungene Kameraarbeit nennen. Lehrenkrauss ist auch im Club dabei, wo die Frauen nach Freiern suchen, einmal sagt der Barmann zu Rita: „Deine Hautfarbe ist das Problem.“

„Lovemobil“ sei zunächst kein Film über Prostitution, sagt die Regisseurin - obwohl deren Geschichte in der Bundesrepublik en passant nacherzählt wird -, sondern ein Film über das „Dead End eines globalisierten Kapitalismus und jene, die er am härtesten trifft und die mit allen Mitteln ums Überleben und eine Zukunft kämpfen". Das alles passiert mitten in unserer schönen Europäischen Union, im schönen Deutschland. „Im Abseits“ überschrieb die Zeitschrift „Emma“ ihren Text zu dem Film. Aber vielleicht sollte es besser „Im Zentrum“ heißen: Im Zentrum einer der größten Volkswirtschaften der Welt.

Lovemobil. D 2020. Regie: Elke Margarete Lehrenkrauss.
Bis 23. Januar in der NDR-Mediathek, dann bei EntertainmentTV